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Opposition in der Rollenfindung

Von Martin Tschiderer

Politik

Krisenzeiten sind nicht die Zeiten der Oppositionsparteien. Nach anfänglicher Zurückhaltung wird deren Kritik allerdings immer lauter. Und oppositionelle Forderungen fanden ihren Weg auch in Maßnahmen der Regierung. Eine Analyse.


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Ausnahmezustand herrscht derzeit nicht nur im Regierungsteam, in der Republik und rund um den Globus. Im Ausnahmezustand befindet sich auch die Opposition. Denn unabhängig vom jeweiligen Auslöser: In Zeiten der Krise schlägt die Stunde der Regierenden. Während diese sich im Krisenmanagement bewähren müssen, rückt die Opposition in der öffentlichen Wahrnehmung in den Hintergrund. Allerdings: Dort spielt sie eine durchaus zentrale Rolle - die sie selbst mitunter ins Dilemma bringt. Denn einerseits ist die Regierung während der Pandemie auf weitreichende Unterstützung der anderen Parlamentsfraktionen angewiesen. Zahlreiche Materien in den beschlossenen Corona-Paketen erforderten schließlich eine Zweidrittelmehrheit. Das gilt auch für potenzielle künftige Maßnahmen.

Andererseits nimmt die demokratiepolitische Relevanz einer eigenständig agierenden Opposition in Zeiten von Notpaketen und Einschnitten in Grund- und Freiheitsrechte nicht eben ab. Beim Prinzip von "Checks and Balances" kommt der parlamentarischen Opposition eine Schlüsselrolle zu. Und auch wenn die Maßnahmen gerade wieder gelockert werden: Die Covid-19-Pandemie wird andauern - und noch viele Abwägungen nötig machen.

Die Zeit des "nationalen Schulterschlusses" fand denn auch vor Ostern ein recht abruptes Ende. Der später zurückgezogene "Oster-Erlass", der Feiern in privaten Haushalten limitieren sollte, führte ebenso zu handfestem Streit wie Regierungs-Überlegungen einer verpflichtenden Einführung der Corona-App. Bei SPÖ, FPÖ und Neos wurde die Rhetorik ab dem Zeitpunkt deutlich schärfer.

Umgekehrt fanden sich Forderungen der Oppositionsparteien auch in später beschlossenen Maßnahmen der Regierung. Die öffentlichen Aufrufe zu großflächigeren Covid-19-Tests von SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner - als ausgebildete Tropenmedizinerin Expertin für die Materie -, nahmen etwa vorweg, was wenig später als Regierungsstrategie verkündet wurde. Auch die schrittweise Lockerung der Beschränkungen im Handel, die nicht zuletzt die Neos mit steigender Vehemenz gefordert hatte, ist inzwischen umgesetzt.

Kritik wird lauter

Seit Ostern hat die Opposition ihre Kritik an den Maßnahmen der Regierung - vor allem an deren Umgang mit den verfassungsrechtlich abgesicherten Grundrechten in der Corona-Krise - indes neuerlich verschärft. FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl warf Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) vor, "einen flapsigen Umgangston im Zusammenhang mit dem Rechtsstaat, der einer Demokratie unwürdig ist" zu pflegen. SPÖ-Justizsprecherin Selma Yildirim forderte die Einbindung des Parlaments, "statt im Verordnungsweg über alle hinweg zu bestimmen". Und auch die Neos stießen sich nicht zuletzt an der vom Bundeskanzler ausgerufenen "neuen Normalität". "Es gibt entweder Normalität oder nicht. Es gibt keine neue Normalität", schrieb Parteichefin Beate Meinl-Reisinger auf Twitter.

Gelingt es einer Regierung grosso modo, eine Krise gut zu managen, ist es für die restlichen Parlamentsfraktionen "schwierig Brachialkritik zu üben, wie sie die Oppositionsmaschinerie abseits von Ausnahmezeiten beinhalten würde", sagt Politikberater Thomas Hofer zur "Wiener Zeitung". Das sei in der Zurückhaltung der Opposition zu Beginn der Corona-Krise, als Maßnahmen unter nur leisem Protest mitbeschlossen wurden, klar ersichtlich gewesen. Eine fortschreitende Entspannung bei den Kurven der Covid-Infektionen würde es SPÖ, FPÖ und Neos aber zunehmend erleichtern, wieder vermehrt in regulären Oppositionsmodus zu schalten - was sich in einem gewissen Paradoxon niederschlagen könnte: "Je besser sich die Zahlen entwickeln, desto lautere Kritik ist von der Opposition zu erwarten", meint Hofer. Erst recht, wenn die Maßnahmen der Regierung im Nachhinein auch auf ihre ökonomischen Folgen evaluiert würden.

Die vielschichtigen Dynamiken im Verhältnis von Regierung und Opposition zeigten sich in der Corona-Krise übrigens auch ganz konkret an Pamela Rendi-Wagner. Die ehemalige Gesundheitsministerin, die vor ihrer politischen Tätigkeit auch an der epidemiologischen Überwachung von Infektionskrankheiten gearbeitet hatte, wurde immer wieder für eine zentrale Funktion im Covid-19-Krisenmanagement ins Spiel gebracht.

Eine Idee, deren Umsetzung nicht ohne politischen Zielkonflikt auskäme: Dass die Vorsitzende der größten Oppositionspartei auch wesentliche Koordinierungsaufgaben für die Bundesregierung übernimmt, wäre nach allen politischen Usancen, gelinde gesagt, ungewöhnlich. "Ich gehe davon aus, dass Gesundheitsminister Anschober sie aufgrund ihrer Expertise in dieser Phase gerne im Team gehabt hätte", sagt Hofer. "In der Praxis halte ich so eine Doppelrolle aber letztlich nicht für denkbar."