Tschechien: Bevölkerung mehrheitlich gegen Raketenschild. | Massenproteste unwahrscheinlich. | Prag. "Ein schöner Wald, eine schöne Wiese," urteilt der sozialdemokratische tschechische Oppositionsführer Ji ø í Paroubek und zuckt mit den Schultern: "Schade drum." Paroubek steht auf einer weiten Lichtung am südlichen Ende des Militärsperrgebiets Jince im Brdywald. Hier soll voraussichtlich eines Tages das US-Radar stehen, das als Teil des weltweiten amerikanischen Raketenschutzschilds geplant ist.
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Ginge es nach Paroubek und seinen Sozialdemokraten würde das Radar nicht hier, knappe 65 Kilometer von Prag entfernt, stehen. "Wenn man wirklich einen Ort für das Radar suchen würde, würde ich einen anderen wählen," erklärte Paroubek. "Aber ich hoffe, dass erst gar keiner gesucht werden wird," fügte er schnell hinzu.
Grüne sind skeptisch
Die Hoffnung des Ex-Ministerpräsidenten scheint vergeblich. Zumindest im Augenblick. Denn während Paroubek sich am Mittwoch auf seinen Besuch des Brdywaldes vorbereitete, beschloss die konservativ-grüne Regierung von Mirek Topolánek, den Amerikanern entgegenzukommen. Man werde Verhandlungen über die Radaranlage beginnen, lautet der vorsichtige Regierungsbeschluss. Aber: "Die Tschechische Republik wird sich bemühen, die Radaranlage in die zukünftige Architektur des Raketenschutzes des nordatlantischen Bündnisses einzufügen," ließ Regierungschef Topolánek verlauten. Ein Zugeständnis vor allem an den grünen Koalitionspartner, der rein bilateralen Verhandlungen skeptisch gegenüber steht.
Ob nun bilateral oder multilateral abgesegnet, an Ort und Stelle will niemand die Radaranlage. Das hat vor kurzem nicht nur das Referendum in Trokavec gezeigt, dem 100-Seelen Ort, der dem Radar wahrscheinlich am nächsten liegen wird. Einundsiebzig von 72 Wählern haben sich gegen das Radar ausgesprochen. Auch in den anderen Ortschaften rund um den Brdywald wächst der Widerstand, hauptsächlich aus Angst um die gesundheitlichen Folgen, die ein Radar mit einer Leistung von knapp fünf Megawatt auf die Bewohner der Gegend haben kann. "Wer weiß, welche Leistung das Radar tatsächlich haben wird," sagt Jan Neoral, der Bürgermeister von Trokavec. "Die lügen uns doch alle an", schimpft er.
Politisches Kapital aus dem Widerstand versuchen nun die tschechischen Sozialdemokraten zu schlagen. Unter der Führung von Ji ø í Paroubek und seinem außenpolitischen Experten Lubomir Zaoralek wollen sie den Bau des Radars im Parlament verhindern. Dort wird entschieden werden, nicht auf der Straße. Denn obwohl nach den jüngsten Umfragen ganze 61 Prozent der Tschechen gegen das US-Radar sind, bleiben Massenproteste eher unwahrscheinlich.