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Orakeln gegen die Angst

Von Susanne Veil

Wissen
Helga Nowotny und Philipp Blom sorgten für einen kurzweiligen Abend.
© Simon Rainsborough

Die Wissenschaftstheoretikerin Helga Nowotny und der Historiker Philipp Blom diskutierten bei den Alpbach Talks über die Ungewissheit.


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Wien. Orakelknochen also. Damit beginnt im alten China der Versuch, dem Ungewissen eine Richtung zu geben. Das neue Buch der Wissenschaftstheoretikerin Helga Nowotny handelt von der List der Ungewissheit ("The Cunning of Uncertainty") - dieser war auch der Dienstagabend im übervollen Prunksaal des Belvedere gewidmet. Der Historiker und Journalist Philipp Blom stellte bei den schon traditionellen Alpbach Talks, die regelmäßig vom Europäischen Forum Alpbach in Kooperation mit der "Wiener Zeitung" veranstaltet werden, die Fragen.

Bloms schelmischer Einstieg, ob wir heute wesentlich über Orakelknochen hinausgekommen seien, beantwortete Nowotny zuversichtlich: "Wir haben technisch verfeinert." Die Wissenschaft sei heute in der Lage, weiter vorauszusehen.

Listig, aber chancenreich

Ihr Beispiel jedoch ist eher Gegenbeleg. Der berühmte Klimabericht "Die Grenzen des Wachstums" des Club of Rome sei das erste Mal gewesen, dass ein Computermodell Voraussagen angestellt habe. Diesem Bericht erging es leider wie Kassandra, die Warnung verhallte ungehört. Lange Zeit, rekapitulierte Blom, wurde das Schicksal gegen die Ungewissheit beschworen, bis sich die Zivilisation mit der Aufklärung dagegen aufbäumte.

Wir gingen heute davon aus, so Nowotny, Vernunft sei der Schlüssel für alles. Diese "Hybris" sei "die dunkle Seite der Aufklärung". Hier zeigte sich bereits, dass für Nowotny das Ungewisse zwar listig, aber durchaus chancenreich ist. Sie rief dazu auf, Ungewissheit zu akzeptieren. Das falle schwer, weil uns die Natur die Suche nach Mustern mitgegeben habe, weiß Nowotny. Dennoch: "Man verliert die Handlungsfähigkeit, wenn die Angst vor der Ungewissheit zu groß ist."

Und schon ist die Diskussion bei hochpolitischen Themen angelangt. Blom erinnerte daran, dass es weniger als 0,2 Prozent der Bevölkerung Europas sind, die als Flüchtlinge bislang zu uns kamen. "Eine Flut sieht anders aus." Aber die Ungewissheit wachse, unsere Gesellschaften werden andere werden und darauf werde mit einer "Politik der Angst" reagiert. Nowotny antwortete mit dem Appell, die Ungewissheit nicht nur zu akzeptieren, sondern mehr noch, als Chance zu sehen.

Blom sieht die Ursache für die "fast schon neurotische Reaktion" in einer bisherigen "Zukunftslosigkeit" des Kontinents: "Europa wollte die Gegenwart so lange ausdehnen wie möglich. Und nun zwingen uns die Flüchtlinge, einen Schritt in die Zukunft zu tun." Dieser müsse möglich sein, so Nowotny, denn die Alternative zur
Ungewissheit seien autoritäre Strukturen.

Robuste Gesellschaft

"Ich sehe nur den Weg nach vorne und der beginnt eben jetzt, mit einem anderen Umgang mit Ungewissheit." Das bedeute auch Freiheit, stellte eine Dame aus dem Publikum fest. Dass die Diskussion damit den Finger in die Wunde legt, zeigte eine weitere Wortmeldung: Laute die Frage nicht eher, ob wir bereit seien, unsere abendländische Kultur aufzugeben? Ob diese Frage legitim sei, fragte der Herr. Ja, antwortete Nowotny. "Ich glaube, dass unsere Gesellschaften viel robuster sind, als sie glauben." Ein Prozent von außen Kommende werden nicht zum Zusammenbruch Europas führen.

Blom merkte an, dies sei keine Frage des Wollens. "Wir können diese Entwicklung gestalten oder nicht." Wie viel Ungewissheit also ist gut für uns, will das Publikum wissen. "Das ist eine Frage der Balance", so Nowotny, "und Balance ist individuell verschieden, das gilt auch für Gesellschaften."

Ein kurzweiliger Abend, der mit einem Brecht-Zitat begonnen wurde - "So sehen wir betroffen, den Vorhang zu und alle Fragen offen" - endete mit dem Hinweis Bloms, offene Fragen seien etwas Gutes. Den Saal verließ jedenfalls ein sehr angeregt fragendes Publikum.