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Orange Revolution frisst ihre Kinder

Von WZ-Korrespondentin Elena Usenko

Europaarchiv

Symbolfigur Timoschenko muss gehen. | Juschtschenko: "Teamgeist fehlte." | Juri Jechanurow wird neuer Premier. | Kiew. Der ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko hat sein Land überrascht. Zwar spitzte sich der Streit zwischen den Siegern der Orangen Revolution in den vergangenen Tagen zu, aber kaum jemand hatte erwartet, dass Viktor Juschtschenko so rasch durchgreifen würde.


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"Der Präsident darf keine Amme sein, der die schlechten Beziehungen zwischen den andern ausgleicht", sagte Juschtschenko gestern in Kiew. Die Regierung von Ministerpräsidentin Julia Timoschenko habe aufgrund ihrer Zerstrittenheit die Fähigkeit verloren, das Land zu führen. Sie habe sich zu sehr mit Eigenwerbung beschäftigt und sich zu wenig für die Interessen des Staates eingesetzt. Zum Nachfolger Timoschenkos ernannte er Juri Jechanurow. Der anerkannte Ökonom und einer der engsten Freunde des Präsidenten war bisher Gouverneur des Bezirks Dnepropetrowsk.

Korruptionsvorwürfe

Die gegenwärtige politische Krise war durch den Rücktritt von Staatssekretär Alexander Sintschenko vor einer Woche ausgelöst worden. Dieser erklärte, dass mehrere Personen in der Umgebung des Präsidenten korrupt seien. Er nannte unter anderem den Sekretär des nationalen Sicherheitsrates, Petr Poroschenko, und Präsidentenberater Alexander Tretjakow. Sintschenko warf vor allem Poroschenko vor, Schmiergelder von Geschäftsleuten zu verlangen und Gerichtsentscheide zu beeinflussen. Nur wenn diese Leute aus dem Umkreis des Präsidenten entfernt würden, könnten die Reformen weitergeführt werden. Die Partei des Präsidenten, "Unsere Ukraine", rief daraufhin einen Boykott Sintschenkos und aller Parteien auf, die mit ihm zusammenarbeiten.

Präsident Juschtschenko entließ auch Poroschenko. Das Parlament hob die parlamentarische Immunität der Politiker auf, die von Sintschenko der Korruption beschuldigt worden waren. Der Weg für Ermittlungen ist daher frei. Poroschenko soll inzwischen das Land verlassen haben.

Der entlassene stellvertretende Ministerpräsident Nikolaj Tomenko erklärte gestern, dass Juschtschenko die reale Lage des Landes verkenne. Alexander Turtschinow, Chef des ukrainischen Sicherheitsdienstes, nannte die Entscheidung des Präsidenten sogar eine Gefahr für die Sicherheit des Landes, und erklärte seinen Rücktritt.

Julia Timoschenko selbst erklärte nur, sie sei nun zum dritten Mal von Juschtschenko verraten worden.

Zweite Entlassung

Sie bezog sich damit auf die Zeit von Präsident Leonid Kutschma. Sie war damals Stellvertreter von Juschtschenko als Ministerpräsidenten und wurde von ihm entlassen. Später weigerte sich Juschtschenko zunächst, Timoschenko in ihrer Opposition gegen Kutschma zu unterstützen. Das hinderte diese nicht, mit dem späteren Präsidenten in der orangen Revolution zusammenzugehen. Unmittelbar nach dem Sieg überstieg ihre Beliebtheit die des Präsidenten. Als Ministerpräsidentin in den vergangenen acht Monaten hat Timoschenko viel von ihrer Popularität verloren. Die Wirtschaftslage ist schwierig. Die Preise für Nahrungsmittel, Kleidung und vor allem für Energie sind gestiegen.

Der Machtkampf dürfte sich bis zu den Parlamentswahlen im nächsten Frühjahr hinziehen. Juschtschenko wollte eine Koalition mit der Partei Timoschenkos nach den Wahlen nicht ausschließen.

Die Turbulenzen in Kiew haben übrigens direkte Auswirkungen auf Österreich: Heute Freitag hätte eine Wirtschaftsdelegation mit Vizekanzler Hubert Gorbach, Landeshauptmann und Jörg Haider mit Timoschenko zusammentreffen sollen. Die Begegnung wurde kurzfristig abgesagt.