Rechtsradikale gewinnen in Ungarn Nachwahl am Nordufer des Plattensees und dringen immer mehr in die Mitte der Gesellschaft vor.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Budapest. Der Schlag kam für Ungarns Regierungspartei Fidesz nicht unerwartet: Die rechtsradikale Partei Jobbik hat die Nachwahl im westungarischen Kreis Tapolca gewonnen und schickt nunmehr mit Lajos Rig einen zusätzlichen Abgeordneten ins Parlament.
Zwar war das Ergebnis knapp: Nach Auszählung von 99,13 Prozent der Stimmzettel am Sonntagabend kam Rig auf 35,27 Prozent der Stimmen und damit auf nur 261 mehr als sein Gegenkandidat von Fidesz, Zoltan Fenyvesi. Dennoch haben Fenyvesi und alle anderen Wahlkandidaten ihre Niederlage anerkannt, sodass es als sicher gilt, das Jobbik nun 24 statt 23 Abgeordnete haben wird. Die Nachwahl war wegen eines Todesfalls notwendig geworden.
"Nix Fidesz, nix Orbán", riefen Jobbik-Anhänger nach dem Wahlsieg. Dies war eine hämische Anspielung auf einen als Beruhigung gemeinten Spruch Orbáns im Wahlkampf: "Nix ugribugri" hatte Orban gesagt, der deutsch-ungarischen Slang-Ausdruck lässt sich in etwa mit "nur keine Aufregung" übersetzen. Sprich: Keine Sorge, wir werden weiter regieren wie bisher, egal wie die Wahl ausgeht. Die nächste allgemeine Parlamentswahl steht erst im Frühjahr 2016 an.
Dabei hatten bei Fidesz die Alarmglocken schon im Februar dieses Jahres geläutet, als Orbans Partei bei einer ähnlichen Nachwahl im Kreis Veszprem die parlamentarische Zwei-Drittel-Mehrheit verlor. Dort gewann der parteilose Kandidat Zoltan Kesz mit der Unterstützung der links-liberalen Oppositionsparteien. Fidesz hatte nachher selbstkritisch festgestellt, dass es ein Fehler war, die Veszprem-Wahl gering zu schätzen.
Nun, bei der Wahl in Tapolca, hatte Fidesz die Taktik zwar geändert, Orbán war persönlich zum Wahlkampf an das Nordufer des Plattensees gereist. Trotzdem ging es wieder schief.
Orban musste damit eine persönliche Niederlage einstecken. Er nahm es auffällig gelassen. "Es kommt vor, dass der Ball an der Latte zurückprallt", sagte er. Staunend stellte die Internet-Zeitung "Index.hu" fest, dass es bei Fidesz kein Anzeichen dafür gebe, dass nun ein interner Krisenstab die Lage analysiert.
Dieselbe Zeitung meinte auch, dass Fidesz im Grunde keine Ahnung habe, wie sie mit der konkurrierenden Jobbik umgehen soll. Vor Jahren hatte Orban die jungen Extremisten als pubertäre Flegel heruntergespielt, denen man mit "zwei Ohrfeigen" beikommen könne.
Die Taktik der Fidesz war es aber zunächst, Jobbik nicht anzugreifen und lieber zu versuchen, diese Partei mit hohen Posten in Verwaltung und Staatsmedien zu korrumpieren. Im Hauruckverfahren entschloss sich Fidesz in Tapolca, Jobbik doch noch offen zu kritisieren - mit einer Kampagne gegen ein angebliches SS-Tatoo des Jobbik-Kandidaten Rig.
Es nützte nichts. Jobbiks Erfolg sei der Tatsache zu verdanken, dass diese Partei bei den Wählern weniger radikal wirke als früher, meint der parteiunabhängige Budapester Think-Tank Political Capital. Die Jobbik-Partei sei schlichtweg mit einer seit ein paar Jahren betriebenen soften Kampagne in die gesellschaftliche Mitte vorgedrungen - und in Tapolca nun auch in eine frühere Fidesz-Hochburg. Jobbik sei nun die Adresse für all die Ungarn, die unter Orbáns unpopulären Maßnahmen leiden.