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Orbán macht sich Justiz untertan

Von WZ-Korrespondentin Kathrin Lauer

Politik

Nur noch Staatspräsident Ader | kann Novelle kippen.


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Budapest. In Ungarn kann die parlamentarische Zweidrittelmehrheit des Ministerpräsidenten Viktor Orbán jedes beliebige Gesetz beschließen, ohne vom Verfassungsgericht behelligt zu werden. Dies ist das Kernstück der Verfassungsnovelle, die Orbáns rechtsnationale Partei Fidesz am Montag im Parlament durchgesetzt hat. Auch massive Kritik aus dem In- und Ausland konnte gegen diesen Plan nichts bewirken.

"Ende der Gewaltenteilung" lautete demnach der bittere Titel eines Artikels des früheren ungarischen Staatspräsidenten Laszlo Solyom (2005-2010) in der links-liberalen Tageszeitung "Nepszabadság". "Damit erhält die Zweidrittelmehrheit die Möglichkeit, unter dem Titel einer Verfassungsänderung jede beliebige gesetzliche Regelung zu verabschieden, selbst wenn diese im
krassen Gegensatz zu den anderen Bestimmungen des Grundgesetzes steht", schrieb er. Solyom weiß, wovon er redet, denn der angesehene Jurist und grün-konservative Politiker war in den 1990er Jahren der Schöpfer der bis Ende 2011 geltenden Verfassung Ungarns. Als langjähriger Verfassungsrichter hatte er dafür gesorgt, dass dieses Gericht zum Garanten der Demokratie wurde.

Trotz Warnungen seitens der USA und der EU hat das von Orbán dominierte Parlament die Kompetenz des Verfassungsgerichts zur Bedeutungslosigkeit zurückgestutzt. Dieses Gericht darf nun keine Gesetze mehr aus inhaltlichen Gründen beanstanden, sondern nur noch wegen verfahrenstechnischer Bedenken. Darüber hinaus dürfen sich Verfassungsrichter nicht mehr auf die eigene Spruchpraxis aus der Zeit vor Inkrafttreten der derzeitigen Verfassung im Jänner 2012 berufen.

Wie um die Verhöhnung des Verfassungsgerichts komplett zu machen, wurden jetzt Bestimmungen im Grundgesetz verankert, die diese erst kurz vorher gekippt hatte: Wahlwerbung in privaten Medien kann verboten werden. Damit wird politische Propaganda auf die Staatsmedien beschränkt, die Orbán kontrolliert. Somit ist ein weiterer Hebel zur Sicherung von Orbáns Macht bei den 2014 bevorstehenden Parlamentswahlen entstanden.

In Ungarn würde jetzt eine "parlamentarische Diktatur" aufgebaut, bei der der Wille eines einzigen Menschen, nämlich der von Premier Orbán, zur Geltung käme, warnte Attila Mesterhazy, Vorsitzender der oppositionellen Sozialisten (MSZP).

Hineinregieren darf Orbán auch in die Justiz: Welches Gericht einen Prozess zugeteilt bekommt, entscheidet nicht mehr ein unabhängiger Justiz-Apparat, sondern eine von Orbán ernannte Leiterin des nationalen Justizamts. Diesen Plan hatte die EU vorher ausdrücklich kritisiert.

Kirchen haben nach der Novelle nicht mehr das Recht, ihre Existenzberechtigung vor Gericht einzuklagen, weil fortan die Anerkennung des Kirchenstatus vom Parlament entschieden wird. "Kooperationsbereitschaft mit der Regierung" soll dabei als Kriterium festgelegt werden. Benachteiligt werden könnten kleinere Glaubensgemeinschaften, die bisher mit staatlicher Unterstützung wertvolle Sozialarbeit für Roma geleistet haben - eifersüchtig beäugt von den großen traditionellen Konfessionen der Katholiken und Protestanten.

Verankert wurde zudem eine Definition der Familie als heterosexuelles Gebilde - homosexuelle Lebensformen genießen demnach keinen Schutz. Ferner werden junge Ungarn nun per Verfassung verpflichtet, mindestens zehn Jahre nach Abschluss ihres Studiums in ihrer Heimat zu arbeiten, oder aber ihr Studium zu bezahlen. Nicht einmal die Obdachlosen kamen ungeschoren davon: Das Leben auf der Straße ist nun laut Grundgesetz strafbar.

Republik hat ausgedient

Orbáns Ungarn folgt mit dieser Novelle dem Geist der zu Ostern 2011 beschlossenen neuen, reaktionären Verfassung, die das Christentum und eine ins Heldenhafte verklärte Geschichte zu schützenswerten Rechtsgütern erhebt. Eine "Republik Ungarn" gibt es seit 2012 nicht mehr. Das Staatswesen gilt nicht mehr als "res publica" - also als "öffentliche Angelegenheit" - sondern offenbar nur noch Privatsache Orbáns und seiner Freunde. Die letzte Hoffnung ruht auf Staatspräsident Janos Áder, der am Montag auf Staatsbesuch in Berlin war. Obwohl Fidesz-Mitglied, hat sich Áder schon mehrfach bei Vorhaben der Regierung quergestellt. Vor seinem Amtssitz demonstrierten Regierungsgegner, um ihn dazu zu bewegen, diese Verfassungsnovelle nicht gegenzuzeichnen. 20 Mittelschüler, die versucht hatten, eine Zufahrt zum Parlament zu blockieren, waren umgehend von der Polizei abgeführt worden.