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In knapp zwei Wochen wird in Ungarn gewählt, der Sieger steht so gut wie fest.
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Wien. Die EU wird ihr größtes Sorgenkind nicht los: Am 6. April finden in Ungarn Parlamentswahlen statt und es ist so gut wie ausgeschlossen, dass Premier Viktor Orbán abgewählt wird. Die letzten vier Jahre konnte sich der National-Konservative auf die satte Zwei-Drittel-Mehrheit seiner Partei Fidesz stützen - ein Umstand, den Orbán für einen Totalumbau der Republik inklusive weitreichender Verfassungsänderungen nutzte. Der ehemals liberale Polit-Aufsteiger liegt im Dauerclinch mit der Europäischen Kommission, die ihm zahlreiche Vertragsverletzungen zum Vorwurf macht und entsprechende Verfahren einleitete. Mit Wien gibt es seit Streit um den Bodenbesitz von Großbauern in Ungarn, die am 1. Mai dieses Jahres - zumindest aus österreichischer Sicht - enteignet werden sollen. Kritiker werfen Orbán vor, demokratische Freiheiten einzuschränken und mit rassistischen Vorurteilen zu spielen.
Es gibt derzeit niemanden in Ungarn, der dem 50-Jährigen politisch gefährlich werden könnte. Die Opposition ist zersplittert, die Sozialdemokraten sind weitgehend diskreditiert, weil sie das Land an den Rand des Bankrotts geführt hatten. Die Frage ist deshalb nicht, ob Orbán gewinnt, sondern ob er wieder wie 2010 eine Zwei-Drittel-Mehrheit erreicht und damit den absoluten Zugriff auf sein Land nicht verliert.
Kontroverse Debatte
Im Wiener Presseclub Concordia wurde am Dienstag über ungarische Innenpolitik diskutiert - und das, wie üblich, sehr kontrovers. Verteidiger des Premiers bezeichneten dessen Politik als Erfolgsgeschichte, die demokratisch legitimiert sei. Kritiker sprachen von zynischem Politikverständnis, einer Erosion des Mittelstandes, Zunahme der Armut und sogar "Zwangsarbeit" in Ungarn.
Die Korrespondentin der "Neuen Zürcher Zeitung", Meret Baumann, meinte, dass sie eine derart polarisierte politische Situation wie in Ungarn "noch nicht erlebt" habe. Ein Mittelweg fehle völlig, selbst scheinbar objektive Daten würden in diesem "Glaubenskrieg" zwischen Regierung und Opposition völlig unterschiedlich interpretiert. Sie selbst, erzählt Baumann, sei von einem Regierungsbeamten aufgefordert worden, sich "zu entscheiden, auf welcher Seite" sie stehe.
Für Zoltan Kiszelly, ungarischer Regierungsberater, fungiert die "linksliberale Presse" in Europa jedenfalls als "Verstärker der schwachen Stimme der Opposition" im Ausland. Den Erfolg Orbáns erklärt er damit, dass die Bevölkerung 2010 nach acht "schlechten Jahren" unter sozialdemokratischer Regierung eine radikale Wende verlangt habe. "Die Krise hat Ungarn damals voll erwischt", so Kiszelly, das Land sei darauf nicht vorbereitet gewesen. Die Bevölkerung habe erkannt, dass Demokratie nicht mit Wohlstand verbunden sei, so der Politologe. Ungarn sei jetzt ein "Labor der Marktwirtschaft", zur Anwendung komme eine "patriotische Wirtschaftspolitik", die mit der des französischen Präsidenten François Hollande und des US-Präsidenten Barack Obama vergleichbar sei. Josef Kirchengast, Redakteur beim "Standard" und Moderator der Veranstaltung, sprach in diesem Zusammenhang von "Gulaschkommunismus von Rechts". Kiszelly antwortete, der Staat nehme allein deshalb vermehrt Einfluss auf die Wirtschaft, um "mehr Gestaltungsraum" zu bekommen. Damit würden die Lasten gerechter verteilt. Das sei das Gleiche, was Westeuropa auch tue. In seiner EU-Politik betreibe Ungarn die "Wahrnehmung nationaler Interessen durch Konflikte". Und das Gleiche, so Kiszelly, hätten "De Gaulle und Thatcher" getan. Die Theorie von der gerechten Lastenverteilung ließ Baumann jedenfalls nicht unwidersprochen. Schon allein durch die Einführung der Flat Tax - also eines einheitlichen Steuersatzes für alle - seien niedrigere Einkommen ungleich stärker belastet worden als höhere.
Als vehementer Verteidiger Viktor Orbáns entpuppte sich im Verlauf der Debatte Frank Spengler von der CDU-nahen deutschen Konrad-Adenauer-Stiftung. Der ungarische Premier habe es "exzellent" verstanden, Schulden abzubauen, für Wirtschaftswachstum zu sorgen und die Arbeitslosigkeit zu senken - konservative Wirtschaftspolitik im besten Sinne, so Spengler.
Hatz auf "Fremdes"
Das positive Urteil über Orbán wollte der ungarische Soziologe Istvan Grajczjar, Lehrender am "King Sigismund College" in Budapest, nicht teilen. Immerhin gibt es Vorwürfe, wonach der Orbán mit Antisemitismus spielt, sich fallweise nicht zur rechtsextremen Partei Jobbik abgegrenzt hat, sich mit Rassisten umgibt und in puncto Holocaust versucht, die Mitschuld Ungarns zu relativieren. "Das ist gefährlich", so Grajczar. Im Zusammenhang mit dem allgemein in Ungarn herrschenden "Freiheitskampf-Gefühls" würden Ressentiments gegen "Fremdartiges" freier Lauf gelassen. Auch Linksliberale würden durch den Begriff "fremdartig" erfasst. Orbán sei nicht rechtsradikal, habe aber ein "zynisches" Verständnis von Politik. In Ungarn werde nach der Maxime vorgegangen: Debatten - ja, aber Fidesz hat immer recht", kritisierte Grajczar.