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Orban rechtfertigt seinen Kurs

Von WZ-Korrespondentin Karin Rogalska

Europaarchiv

Trotz "Rede zur Lage der Nation" halten Proteste gegen Regierung an.


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Budapest. Monate sind vergangen, seit der kleine Mann am Mikrofon zuletzt zu seinen Landsleuten sprach. Am Nationalfeiertag zum Gedenken an den Volksaufstand von 1956 musste er in Brüssel verhandeln. Einem "Friedensmarsch", bei dem ungarische Patrioten Ende Jänner ihre Solidarität für ihn bekundeten, blieb er mit Bedacht fern. Doch jetzt ist der nationalkonservative Ministerpräsident Viktor Orban wieder da. In einer "Rede zur Lage der Nation" verteidigte er seine umstrittene Politik. Die Sonderbesteuerung internationaler Banken und Konzerne sei zwar "nicht elegant", aber für das wirtschaftliche Überleben des Landes unumgänglich gewesen, erklärte Orban vor einem handverlesenen Publikum in Budapest.

Orban rechtfertigte zudem die umstrittene neue Verfassung und die Einführung der Einheitssteuer (flat tax), die Geringverdienern schmerzhafte Lohneinbußen brachte. Heute stehe Ungarn "auf neuen Grundlagen". Mit Blick auf die bevorstehenden Kreditverhandlungen mit IWF und EU-Kommission hatten Beobachter für die Rede am Dienstag versöhnlichere Töne erwartet. Doch Orban sagte nur: "Wir sind bereit zu kämpfen, wenn es sein muss, doch wir sind auch bereit, Übereinkünfte zu erzielen, wenn es im Interesse des Landes ist."

Hunderttausende verfolgten die Übertragungen der Rede in Radio und Fernsehen. Mit dieser Bestandsaufnahme, die er den Ungarn seit 1999 alle Jahre wieder liefert, brach der Premier einst mit der Tradition, dass ein ungarischer Politiker sich nicht ausdrücklich an die Wähler wendet. Im Laufe der Jahre wurde sie zu seinem vielleicht wichtigsten Machtinstrument. Doch gestern sprach Orban als Mann, der mit dem Rücken zur Wand steht.

Start für "Hungermarsch"

In Ungarn gärt es unübersehbar. Massenproteste gehören in Budapest längst zum Alltag. Von Miskolc im Nordosten aus bewegt sich seit Wochenbeginn ein "Hungermarsch" für Arbeit, Brot und ausreichendes Aufkommen auf die Metropole zu. Zur Teilnahme aufgerufen hat auch die größte Oppositionspartei MSZP.

Der Marsch ist vor allem ausländischen Medien einen größeren Bericht wert. Die ungarischen Journalisten fassen sich in der Regel kurz und haken den Protest je nach politischer Couleur als weiteres Zeichen entweder des Unmuts gegen Orban oder der Systemfeindlichkeit der MSZP ab. Nur die wenigsten befassen sich mit der zunehmenden Armut im Lande.

Die in jüngster Zeit immer stärker zu beobachtende Sinnentleerung öffentlicher Debatten setzt sich damit fort. Zu interessieren hat offenbar nur mehr das, was sich, ob positiv oder negativ, mit der Person des umstrittenen Ministerpräsidenten in Verbindung bringen lässt. Damit begeben sich die Journalisten in bedenklicher Weise vor allem selbst des wenigen Freiraums, der ihnen seit Inkrafttreten der neuen Mediengesetzgebung im Jänner 2011 noch verblieben ist.

Über den "Friedensmarsch" etwa berichteten regierungsnahe Medien noch Tage nach dem Ereignis. Großkundgebungen gegen die Regierung hatten sie zuvor gern totgeschwiegen oder zumindest beschönigt. Andere beklagten vor allem die scheinbar erdrückende Übermacht des regierenden Fidesz, nur teilweise fand Erwähnung, dass parallel zum Friedensmarsch auch Proteste gegen die Regierung stattfanden.