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Orbans neue Zeitrechnung?

Von WZ-Korrespondentin Karin Rogalska

Europaarchiv

Internationale Geldgeber über Budapests Isolationskurs verärgert.


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Budapest. Angekündigt war eine Revolution. Diese prophezeite der nationalkonservative Ministerpräsident Viktor Orban nach dem Machtwechsel in Ungarn im April 2010. Dabei nannte er immer wieder den 1. Jänner 2012 als den Tag, an dem die gesellschaftliche Umwälzung beginnen sollte. Zuvor wollte er noch alle notwendigen personellen und gesetzgeberischen Änderungen durchsetzen.

Vordergründig steht dem Ungarn Orban’scher - aus Sicht der Gegner des Premiers: autokratischer - Prägung seit zwei Tagen nichts mehr im Wege. Seither ist mit dem neuen Grundgesetz eine Verfassung in Kraft, in deren Präambel der nationale Zusammenhalt aller Ungarn verankert ist. Dadurch ist legitimiert, dass künftig Angehörige ungarischsprachiger Minderheiten an Wahlen in Ungarn teilnehmen dürfen, insofern sie die ungarische Staatsangehörigkeit haben.

Außerdem wird in der Präambel die sozialistische MSZP, die größte Oppositionspartei, zur Rechtsnachfolgerin der in den Jahren 1956 bis 1989 regierenden und von Janos Kadar gegründeten Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei erklärt und damit für die Verbrechen des Kommunismus mitverantwortlich gemacht. Kritiker werfen Orban vor, dass er mit solchen Vorgaben eine ganz bestimmte Ideologie fixiere und damit selbst an Gepflogenheiten der Kadar-Ära anknüpfe.

Kurz vor Jahresende peitschte die Regierung im Parlament die letzten grundlegenden Gesetze für die geplante Neuausrichtung des Staates durch. Nachdem sie beispielsweise schon für ihre Mediengesetzgebung heftig kritisiert wurde, könnte die Regierung diesmal den Bogen überspannt haben. Aus den USA gab es bereits heftige Schelte für die Änderungen des Kirchengesetzes, welches das Verfassungsgericht am 19. Dezember aus formalen Gründen an die Abgeordneten zurückgegeben hatte.

Künftig erhalten nur noch fünf Religionsgemeinschaften automatisch finanzielle Zuwendungen vom Staat, nämlich die katholische, die protestantische, die reformierte und die orthodoxe Kirche sowie die jüdische Gemeinde. Alle anderen müssen zunächst zwei Drittel aller Abgeordneten davon überzeugen, dass sie schon 20 Jahre in Ungarn aktiv sind.

Unmut im Währungsfonds

Der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Europäische Zentralbank wiederum kritisieren die Zusammenlegung von Notenbank und Finanzaufsicht wegen der damit einhergehenden mutmaßlichen Entmachtung von Notenbankgouverneur Andras Simor. Aus Sicht der Opposition gibt es nun keine unabhängige oberste Institution mehr im Land. Der IWF macht die Aufnahme von Verhandlungen über einen Milliardenkredit von Nachbesserungen abhängig. Noch betont Orban, die Regierung werde an der Reform nicht rütteln. Aus Sicht vieler Beobachter bleibt der Regierung wegen der dramatischen Verschuldung und der anhaltenden Schwäche des Forint aber gar nichts anderes übrig, als sich auf die Bedingungen des IWF einzulassen, will sie nicht schon heuer den Staatsbankrott riskieren.

Vor allem aber machen Viktor Orban seine zunehmend aufmüpfigen Landsleute zu schaffen. 80 Prozent der Ungarn waren nach Angaben des Meinungsforschungsinstituts Median Ende des Vorjahres unzufrieden mit der Arbeit der Regierung. Am Nationalfeiertag des 23. Oktober zogen knapp 100.000 Menschen gegen den "Viktator" auf die Straße. Seither demonstrieren fast täglich Tausende gegen einen offenbar zunehmend nervösen Ministerpräsidenten.

Die ersten Großkundgebungen duldete Orban noch. Am 23. Dezember, als Oppositionsabgeordnete gegen das neue Wahlrecht protestierten, wurden jedoch erstmals Demonstranten festgenommen. Seit Silvester haben tausende Menschen gegen das Grundgesetz protestiert. Am Montag zogen in Budapest Zehntausende vor die Staatsoper: Während drinnen ein Festakt für die neue Verfassung stattfand, wurden draußen Slogans gegen Orban und seine Regierung skandiert.