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Orbáns Stern sinkt

Von WZ-Korrespondentin Kathrin Lauer

Politik

Fidesz verliert seine Zweidrittelmehrheit. Bei Ungarns Konservativen schrillen die Alarmglocken.


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Budapest. Viktor Orbáns Partei Fidesz hat die parlamentarische Zweidrittelmehrheit verloren. Dazu kam es durch eine Parlaments-Nachwahl im Plattensee-Wahlkreis Veszprém, die notwendig wurde, weil der 2014 dort gewählte Fidesz-Politiker Tibor Navracsics als EU-Kommissar nach Brüssel ging. Nun hat am Sonntag der unabhängige Kandidat Zoltán Kész die Wahl haushoch gegen den Fidesz-Rivalen Lajos Nemedi gewonnen. Der 41-jährige Englischlehrer und frühere Journalist Kész kam auf rund 43 Prozent der Stimmen, Nemedi nur auf 34 Prozent. Orbán kann jetzt nicht mehr wie bisher nach Gutdünken die Verfassung des Landes ändern - dies wäre nun wohl nur noch durch Verhandlungen mit der rechtsextremen Partei Jobbik machbar.

Alle Parteien Ungarns werteten dieses Resultat als Alarmzeichen für Fidesz - auch Orbán selbst. "Wir können uns nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen", sagte er. Dabei hatte Orbán die Bedeutung dieser Wahl im Vorfeld heruntergespielt: Die Zweidrittelmehrheit sei nicht mehr so wichtig, weil man damit schon alles Notwendige erreicht habe. Dass er kurz vor der Wahl per Regierungsbeschluss den Veszprémern ein neues Schwimmbad im Wert von 13 Millionen Euro versprach, nützte letztlich nichts.

"Neue Strategie notwendig"

Orbáns Parteifreund, der Fidesz-Vizevorsitzende Lajos Kosa, kritisierte diese Wahlkampfstrategie: Kész habe gewonnen, weil er die Zerstörung der Fidesz-Zweidrittelmehrheit zu seinem wichtigsten Ziel erklärt habe. EU-Kommissar Navracsics plädierte nach der Niederlage für eine "neue Strategie" des Fidesz, während die konservative Zeitung "Magyar Nemzet" von einer "besorgniserregenden Erosion" des Fidesz sprach und personelle Änderungen in Aussicht stellte. Man spekuliert nun über eine mögliche Absetzung des Außenministers Péter Szijjartó zugunsten eines EU-freundlicheren Politikers.

Orbáns Putin-Freundlichkeit und seine Steuerpolitik haben etliche seiner Anhänger enttäuscht. Der Besitzer von "Magyar Nemzet" Lajos Simicska liegt seit Kurzem mit seinem Jugendfreund Orbán im Clinch. Auch Navracsis, der bisher gegenüber Orbán stets loyal war, klagte neulich, dass "meine (bürgerliche) Werteordnung im Fidesz leider eine marginale Sub-Kultur geblieben ist".

Der Sieg von Veszprém könnte den seit Jahren schwächelnden Parteien, die Kész unterstützt haben, neuen Mut machen. Für ihn geworben hatten die Sozialisten (MSZP), die kleine links-liberale Partei Együtt und die noch kleinere konservativ-liberale Partei MoMa (Modernes Ungarn). Auf Lorbeeren ausruhen sollten auch sie sich aber nicht. Denn Kész hat gewonnen, weil Fidesz-Wähler massiv zu Hause geblieben sind. Deswegen hat Orbáns Partei rechnerisch in Veszprém seit der Parlamentswahl 2014 sage und schreibe 51,71 Prozent der Wählerstimmen verloren. Kész errang 13.871 Stimmen - und damit nur um knapp 900 mehr als im Frühjahr der unterlegene linke Parlamentskandidat. Vorläufig haben diese Parteien nur bewiesen, dass sie einem unabhängigen Kandidaten durch ihre Unterstützung nicht schaden. Nicht ohne Grund waren ihre Vertreter bei allen bisherigen zivilen Anti-Orbán-Protesten höchst ungern gesehene Gäste.

Die beste Nachricht ist, dass auch die rechtsextreme Partei Jobbik in Veszprém rauschend durchgefallen ist. Bisher wurde befürchtet, dass diese Partei noch am ehesten von Fidesz-Verlusten profitieren könne. Jobbik bekam jetzt aber um 40,77 Prozent weniger Stimmen als 2014. Auch die rechts-grüne Partei LMP, die oft der Zusammenarbeit mit Jobbik verdächtigt wird, büßte 48,80 Prozent der Stimmen ein.

Der neue Abgeordnete Kész kommt derweil dynamisch daher. Er will seine parteipolitische Unabhängigkeit bewahren und weiter an der Schwächung des Fidesz arbeiten. "Wir haben die Kraft, die Machthaber abzusetzen", sagte er selbstbewusst.