Der US-Journalist Ethan Gutmann über das Geschäft mit Organen politischer Dissidenten in China.
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Der US-Journalist Ethan Gutmann erhebt schwere Vorwürfe gegen China: In seinem Buch "The Slaughter" und im Film "Hard To Believe" spricht er vom "Massenmord" an Mitgliedern der religiösen Bewegung Falun Gong. Ihnen und anderen politischen Gefangenen, so Gutmann, werden im großen Stil bei lebendigem Leib Organe entnommen, um sie dann an zahlende Patienten zu verkaufen. Peking widerspricht. Die chinesische Botschaft in Wien behauptet, Organverpflanzungen in China würden "streng nach dem Gesetz durchgeführt". Die Behauptungen, dass lebenden Falun Gong-Anhängern Organe entnommen würden, seien "haltlose Lügen". Für China ist Falun Gong eine "Irrlehre", sie wurde 1999 verboten. "Man soll sich von den Lügen der Falun-Gong-Sekte nicht täuschen lassen", heißt es vonseiten der chinesischen Botschaft.
"Wiener Zeitung":Sie sagen, dass zwischen 2000 und 2008 mindestens 65.000 Mitglieder der religiösen Bewegung Falun Gong getötet wurden, um ihre Organe zu entnehmen. Wie sind Sie zum ersten Mal darauf gestoßen?Ethan Gutmann: Das Thema war 2005 in den Medien und beschäftigte die Falun-Gong-Gemeinschaft. Ich war nicht sicher, ob es sich dabei um Gerüchte der Falun Gong handelte. Als ich 2007 mit den Interviews begann, traf ich eine Bäuerin, mit der ich tagelang sprach. Sie beschrieb die Folter, die Verhöre und merkte an, dass sie auch medizinisch untersucht worden war. Hier hakte ich nach, denn das ergab keinen Sinn. Sie führten eine Reihe von Blut- und Urintests sowie EKGs durch und sahen sich die Augenhornhaut ganz genau an.
Scheinbar sind es großteils Ausländer, die für die Organe zahlen...
Augenhornhaut bekommen Sie um 30.000 Dollar, eine Niere für 62.000, die Leber kostet 90.000, beim Herz muss man mit etwa 120.000 Euro rechnen. Die Untersuchungen, von denen die Zeugin sprach, finden sehr häufig statt, das ist ein Muster. Auch die Uiguren berichten davon, und die haben sich sicher nicht mit den Falun Gong abgesprochen, sie sprechen nicht mal dieselbe Sprache. Auch Christen wurden diesen Untersuchungen unterzogen.
Es heißt, Falun-Gong-Mitglieder seien besonders betroffen, weil sie einen gesunden Lebensstil pflegen.
Ja, sie rauchen und trinken nicht und sie sind die prominentesten Feinde der Kommunistischen Partei. Aber die Uiguren waren schon in vor langem die Testgruppe in ihrer Heimat Xinjiang, lange vor der Verfolgung der Falun Gong. 1994 wurden den ersten politischen Gefangenen bei lebendigem Leib Organe entnommen, das wissen wir von dem Arzt, der die Operationen vorgenommen hat. Nachdem Falun Gong zum Feind erklärt wurde, waren die Gefängnisse, Arbeitslager und psychiatrischen Einrichtungen voll mit ihren Mitgliedern. Inhaftierten wurden aber schon in den 1980ern Organe entnommen. Das Problem war, dass viele ansteckende Krankheiten hatten.
Wie funktioniert der Organhandel?
Die Krankenhäuser haben ab 2000 aufgerüstet. Seit 2004 müssen Zahlende, die eine Niere brauchen, nur zwei Wochen oder kürzer darauf warten. Im Internet wird für diese Eingriffe geworben.
Wie haben Sie recherchiert, was sind Ihre Beweise?
Die Interviews habe ich zusammen mit einem israelischen Kollegen, der Chinesisch spricht, geführt. Der aktuelle Bürgermeister von Taipeh, der Hauptstadt Taiwans, war damals Chirurg. Als ich ihn zum Organhandel befragte, lächelte er kühl, die Stimmung kippte. "Moment, ich bin ja nicht von der CIA", sagte ich, "ich bin Autor und interessiere mich für Menschenrechte." Dann brach er zusammen, sagte, es sei alles wahr. Er erzählte, dass er 2004 ein Krankenhaus in China besucht hatte, das Organe verkaufte und ihm Details etwa zu Preisen genannt hatte. Es gibt aber ein Happy End, zumindest in Taiwan: Es ist neben Israel und Spanien das einzige Land, das Organ-Tourismus nach China verboten hat.
Wie reagierten die chinesischen Behörden auf Ihr Buch?
Sie haben lange behauptet, dass sie nur Gefangenen, die hingerichtet wurden, Organe entnehmen. Alles andere ist verboten. 2006 haben sie angekündigt, den Transplantations-Tourismus nach China bekämpfen zu wollen, 2010, nachdem mein erster Artikel erschien und die "New York Times" darüber schrieb, meinten sie, den Handel stoppen zu wollen. Nachdem Ende 2014 mein Buch erschien, hieß es wieder: Wir beenden das sicher 2015.
Was hat sich getan?
Es werden nicht weniger Organe entnommen, im Gegenteil. Ich gehe davon aus, dass der Organraub ansteigt. Das Tianjin Central Hospital etwa behauptet, nur 1000 Transplantationen im Jahr vorzunehmen, verfügt aber über 500 Betten in der Transplantationsstation. Das ergibt keinen Sinn, sie könnten jährlich 10.000 Transplantationen vornehmen. Es gibt 761 Spitäler in China, die solche Operationen durchführen dürfen. Woher kommen also all die Organe, es werden sich ja kaum alle freiwillig melden. Wir sprechen von etwa 30.000 Transplantationen im Jahr. Auch gibt es kein Anzeichen dafür, dass jetzt mehr Todesstrafen exekutiert werden. Die einzigen Quellen zur Organentnahme, die uns logisch erscheinen, sind Falun Gong, Tibetaner, Christen.
Was wollen Sie dagegen tun? Die UN-Petition hat zu nichts geführt.
Reden wir nicht über die UN, das war ja völlig sinnlos. Ich habe auch schon vor dem US-Kongress, dem Senat, dem EU-Parlament gesprochen. Es gibt immer wieder Resolutionen, aber sie sind meist nicht bindend. Die Skepsis der Falun Gong gegenüber ist immer noch groß. Deswegen ist der Film so wichtig, denn ich gehöre nicht zu ihnen, ich bin in etwa so religiös wie ein Krautkopf. Ich habe auch nichts davon, zu lügen. Der Punkt ist, dass wir im Westen dazu neigen, Probleme zu ignorieren, das lehrt uns die Geschichte.
Es hat also nichts mit den Beziehungen zu China zu tun?
Jede Menge! Es hat aber auch etwas mit Naivität zu tun, denn viele hoffen, die Welt wird sich in Gold verwandeln, wenn die USA und China einmal zusammenarbeiten. Wir können China nichts vorschreiben, sondern nur unseren eigenen moralischen Verfall stoppen. Europäer fahren nach China und kommen mit neuen Organen zurück. Sie tragen in sich, was Menschen bei lebendigem Leib entnommen wurde. Nur Israel, Taiwan und Spanien haben das verboten, es ist eine Schande. Es überall zu verbieten wäre das Mindeste, das wir tun können.
Zur Person
Ethan Gutmann,
Jahrgang 1958, ist ein preisgekrönter US-amerikanischer Investigativ-Journalist, Autor und Menschenrechtsaktivist. Sei Buch "The Slaughter" (dt. 2015) befasst sich mit dem Organraub an Dissidenten in China. Der Film "Hard to Believe", in dem Gutmann mitwirkt, ist eben in europäischen Kinos angelaufen.