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Organisierte Verantwortungslosigkeit

Von Thomas Pressberger

Wirtschaft
Menschen müssen nicht moralisch sein, sie müssen sich nur so verhalten, sagt Volkswirt Tyran.
© Hutter

Darf Österreichs Wirtschaft mit Schurken-Staaten Geschäfte machen? Der Volkswirt Jean-Robert Tyran über Wirtschaftsethik.


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Wien. Dürfen Manager ein Ende der Sanktionen gegen Russland fordern, obwohl weder die Krim- noch die Ukraine-Krise beendet sind? Waren gierige Manager an der Finanzkrise schuld oder lag es doch eher an den Rahmenbedingungen? Warum funktioniert der Föderalismus in Österreich nicht? Die Wirtschaftsethik setzt sich mit solchen Fragen nüchtern auseinander und liefert eine andere Sicht der Dinge - und auch andere Lösungen.

"Wiener Zeitung": Was können Wirtschaft und Politik von der Wirtschaftsethik lernen?Jean-Robert Tyran: In der Wirtschaftsethik geht es um die moralische Bewertung von wirtschaftlichen Vorgängen und das Anbieten von normativem Orientierungswissen. Sie reflektiert über Begründungen moralischen Verhaltens und bezieht sich dabei auf Werte, Normen und Tugenden. Die Philosophie hat ein Monopol über die Wirtschaftsethik errungen. Das finde ich problematisch, weil einseitig. Die Volkswirtschaftslehre ist ein Teil der Moralphilosophie, das haben wir Ökonomen leider etwas vergessen. Als Volkswirte sollten wir uns mehr in den ethischen Diskurs einbringen, gerade jetzt. Wir haben Modelle und Verfahren, mit denen wir Konsequenzen von Handlungen abschätzen können. Die Philosophie ist hier abstrakter, mehr von Prinzipien geleitet; wir denken mehr in Kosten und Nutzen.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel Wirtschaftssanktionen. Ein Staat macht etwas, das unsere Werte, wie Demokratie, Partizipation, Freiheit, verletzt. Es ist legitim, dass wir zum Ausdruck bringen, dass unsere Werte verletzt wurden, etwa durch Wirtschaftssanktionen. Sanktionen haben Kosten. Im sanktionierenden Land fallen Exporte, Arbeitsplätze gehen verloren, die Gewinne gehen zurück. Kosten entstehen auch im sanktionierten Land. Dort gehen die Preise nach oben und die Versorgungslage verschlechtert sich. Was ist der Nutzen? Wird das sanktionierte Land, zum Beispiel Russland, sein Verhalten ändern? Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass es das tut? Klein. Wie viel ist es uns wert? Viel. Aus Sicht der Ökonomie würde man nun versuchen abzuwägen, ob es uns die Kosten wert ist. Man könnte aber auch ganz anders argumentieren und sagen, es geht nicht um Kosten, sondern ums Prinzip. Es geht darum, unsere Werte hochzuhalten, ganz unabhängig davon, ob wir die Russen dazu zu bewegen können, ihr Verhalten zu ändern. Aus dieser Sicht würde man nicht Werte gegen Arbeitsplätze aufrechnen wollen. Die Sicht der Ökonomie ist da zynischer, sie sagt: "Alles hat seine Kosten." Zu einer offenen wirtschaftsethischen Debatte gehört meiner Meinung nach, solche Sichtweisen miteinander zu konfrontieren.

Dürfen Manager trotz Krim- und Ukraine-Krise ein Aus der Russland-Sanktionen fordern?

Die Frage ist wieder, was sind unsere Werte? Wenn der Stärkere dem Schwächeren einfach ein Stück Land nimmt, dann werden wir uns einig sein, das das nicht okay ist. Bei den Maßnahmen werden wir aber geteilter Meinung sein. Man könnte diplomatische Noten schicken, Sanktionen setzen oder gar einen Krieg führen. Bei der Abwägung werden wir uns wieder fragen müssen, was bringt es, was kostet es, und wen kostet es wie viel. Natürlich ist es die Aufgabe eines Unternehmers, für sein Unternehmen zu sorgen, und man kann daher verstehen, dass sie fordern, nicht eine größere Last als andere, zum Beispiel nicht-exportierende Industrien, zu tragen.

Sind die Menschen in solchen Belangen zu kurzsichtig?

Die Politik und Wirtschaft sollte sich an den Menschen orientieren, wie sie sind, und nicht, wie sie sein sollten. Wirtschaftsethiker und Volkswirte haben oft die Tendenz, von einem sehr vereinfachten Menschenbild auszugehen. Die verhaltensökonomische Forschung zeigt aber, dass Menschen vielfältig sind. Es gibt sehr wohl Egoisten und Altruisten, die meisten aber sind irgendwo dazwischen, Reziproke oder bedingt Kooperative. Sie sind bereit, in einer Gruppe Kosten auf sich zu nehmen, um zu kooperieren, wenn es andere auch tun. Die Mehrheit der Menschen ist reziprok, so ungefähr zwei Drittel. Wirtschaftsethik verstanden als Institutionenethik bedeutet, dass man drüber nachdenkt, wie gute Institutionen aussehen. Es gilt Institutionen zu schaffen, die verhindern, dass sich die Egoisten durchsetzen und die bedingt Kooperativen mit sich ziehen. Eine andere Sicht in der Ethik ist, dass man Menschen durch Erziehung oder einen Diskurs einsichtig machen soll, zum Beispiel betreffend verbessertes Umweltbewusstsein oder Tierrechte. Aus Sicht der Institutionenethik soll man hingegen Anreize setzen, dass sich die Leute moralisch verhalten. Es geht also nicht darum, dass sie moralisch sind, sondern sich so verhalten.

Wie kann man sich das in der Praxis vorstellen?

Zum Beispiel werden reine Egoisten andere bestehlen, wenn sie das ungestraft tun können. Institutionen - in diesem Fall die Polizei und Gerichte - können Anreize setzen, um sie davon abzuhalten. Die Egoisten sind jetzt nicht Altruisten geworden, halten sich aber ans Gesetz, was in diesem Fall das moralische Verhalten ist. Institutionen sorgen dafür, dass die Mehrheit, die bedingt Kooperativen, nicht auch beginnt, zu stehlen.

Waren bei der Finanzkrise also nicht die Manager zu gierig, sondern die Institutionen falsch gesetzt?

Eine verbreitete Reaktion wäre zu fragen, was ist in der Ausbildung der Manager schiefgegangen, wieso sind die Bankmanager so gierig, wie kann man die Manager überzeugen und bessern, damit das nicht mehr passiert? Ich halte das nicht für völlig nutzlos, aber doch zweitrangig. Die Finanzkrise ist nicht passiert, weil Manager plötzlich gierig geworden sind, sie waren vor der Krise auch schon gierig. Die Finanzkrise ergab sich vielmehr aus einer neuen Konstellation aus Finanzinnovationen und Änderungen des regulatorischen Umfelds. Volkswirte betonen mehr die Anreize als den Charakter der Akteure. Wenn sich Gewinne privatisieren und Kosten sozialisieren lassen - na was werden Banker tun? Einige wenige werden der Versuchung widerstehen, viele nicht. Es waren nicht ursächlich die Manager zu gierig, sondern es haben die Rahmenbedingungen nicht gestimmt.

War die Finanzkrise vorhersehbar?

Charles Calomiris, unser derzeitiger OeNB-Gastprofessor von der Columbia Universität, hat neulich bei einem Vortrag gesagt, man hätte es kommen sehen können. Demnach war der Grund für die Finanzkrise die sinnlose Förderung von Eigenheimen durch die Politik. Leute bekamen Kredite, die sie nie hätten bekommen sollen, weil sie sie nicht zurückzahlen konnten. Die Banken waren hier zu expansiv, befeuert wurde das dann noch durch Finanzinnovationen, die diese faulen Kredite neu verpackt haben und sie dadurch besser aussehen lassen. Der Ursprung der Krise war die Logik der Politik, die ein Interesse an der Kreditexpansion hat. Wenn die Kredite großzügig sind, hilft das demjenigen, der gerade an der Macht ist - und zwar unabhängig davon, welche Partei das gerade ist.

Trifft das auch auf die Hypo Alpe Adria zu?

Auch hier gab es eine Verquickung von Politik und Wirtschaft. Die Politik nahm Einfluss auf die Bank, diese vergab Kredite, die Manager fanden es toll, dass sie expandieren können und wichtig sind. Die Politik bekommt etwas zurück und kann ihre Prestigeprojekte umsetzen. Das Land Kärnten hat Garantien für die Anleihen der Hypo Alpe Adria gegeben, aber zu wenig kontrolliert, was die Bank macht. Das war wie eine Subvention. Das ist nicht ethisch, weil es Anreize zur Verantwortungslosigkeit setzt. Freiheit und Verantwortung gehören in der Ethik zusammen. Wenn jemand nur Freiheit, aber keine Verantwortung hat, dann schlägt er über die Stränge. Wenn jemand keine Freiheit, sondern nur Verantwortung hat, dann ist er geknechtet.

Da muss man jetzt an den österreichischen Föderalismus denken.

Das Kernproblem ist, die einen finanzieren, die anderen geben aus. Das kommt nicht gut. In der Schweiz ist das nicht so. Die Kantone haben dort Steuerhoheit. Wird ein neues Projekt angekündigt, fragt jeder sofort: "Wie wirkt sich das auf unsere Steuern aus?" Die Freiheit, neue Projekte zu planen und die Verantwortung, dafür auch die finanziellen Konsequenzen zu tragen, sind hier vereint. Der Föderalismus in Österreich hingegen ist organisierte Verantwortungslosigkeit. In Österreich ließe sich das Problem durch mehr Steuerhoheit der Länder lindern. Das führt zu einem Steuerwettbewerb und damit zu einem schlankeren Staat.

Was würde ein Wirtschaftsethiker von Österreichs Politik und Wirtschaft fordern?

Österreich ist eine Erfolgsgeschichte, in den vergangenen 35 Jahren hat sich das reale BIP etwa verdoppelt. Wer ist dafür verantwortlich? Viele fleißige Hände und kluge Köpfe sowie gute institutionelle Rahmenbedingungen haben dazu beigetragen. Diese Rahmenbedingungen müssen laufend an neue Entwicklungen angepasst und im Lichte unserer Werte reflektiert werden. Es ist unsere Verantwortung als Staatsbürgerinnen und Staatsbürger beziehungsweise Citoyens, am demokratischen Diskurs teilzuhaben, um so zum fairen Ringen um gute Institutionen beizutragen. Diese sind wichtig, denn sie bringen uns Wohlstand und Prosperität, was eine Voraussetzung für andere Werte wie Solidarität ist. Ein Bewusstsein für die Bedeutung von guten Institutionen zu schaffen, ist mir ein Anliegen. Ich halte dies für eine staatsbürgerliche Aufgabe der Ausbildung, auch der universitären Ausbildung.

Zur Person

Jean-Robert Tyran

ist Volkswirt und forscht im Bereich der Verhaltensökonomik. Er ist Direktor des Wiener Zentrums für Experimentelle Wirtschaftsforschung und Dekan der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät. Tyran wurde 1967 in Zürich geboren.

Das gesamte Interview finden Sie
online unter

www.wienerzeitung.at