In SPÖ und ÖVP wird leise über Neuwahlen nachgedacht. Sie wären eine Option - allerdings mit vielen Unsicherheiten.
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<p>Wien/Salzburg. Wenn es ein Gegenteil des Aha-Effekts gibt, dann ist das wohl der Ah-geh-Effekt. Stau auf der Südosttangente? Ah geh. Bayern München wird deutscher Meister? Ah geh. Regierung plant einen Neustart? Ah geh. Ende Mai soll es ja wieder einmal so weit sein, dass sich die Regierung erneuert, zumindest haben das SPÖ und ÖVP nach der Wahl-Niederlage am 24. April verkündet.<p>Nun, bis dahin wird es wohl tatsächlich einen neuen Kanzler geben, was doch eine gravierende Neuerung wäre, schließlich ist dieser formal der Chef der Bundesregierung. Und klar ist auch, dass diese Person bei Nationalratswahlen Spitzenkandidat der SPÖ wäre. Womit klarerweise die Frage auftaucht: Wann wird gewählt?<p>Die Wahrscheinlichkeit, dass die Nationalratswahlen wie geplant im Jahr 2018 stattfinden, ist in den vergangenen Wochen deutlich geringer geworden. Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner schätzt die Chance auf 50:50 ein, Sozialminister Alois Stöger sagte vor dem Ministerrat am Dienstag: "Wir müssen vorbereitet sein." Schon tags zuvor hatte SPÖ-Interimschef Michael Häupl von sich aus in Richtung ÖVP gestichelt: "Es ist ja nicht auszuschließen, dass die ÖVP die Situation der SPÖ ausnutzt".<p>Rein grundsätzlich, und das ist seit geraumer Zeit offenkundig, "reicht es" vielen in beiden Parteien. Doch anders als 2008, als der damalige ÖVP-Chef Wilhelm Molterer die Koalition mit eben diesen beiden Worten für beendet erklärte, verharren die zwei Regierungsparteien in einer von Missgunst geprägten Zusammenarbeit. "Man traut einander nicht über den Weg", sagt Politologe Peter Filzmaier.<p>
Der blaue Kitt
<p>Doch es gibt bisher einen guten Kitt, der die beiden zusammenhält, und der ist blau gefärbt. Seit Jahren schon hält sich die FPÖ in Umfragen stabil auf Platz eins, was Neuwahlen für SPÖ und ÖVP eher unattraktiv machte. Das wäre jetzt gar nicht anders. Im Gegenteil. Bei der Bundespräsidentenwahl schnitt FPÖ-Kandidat Norbert Hofer weit besser ab, als es die kühnsten Prognosen vorhersahen.<p>"Die Schlüsselfrage für beide Parteien ist: Glauben wir, dass es bis 2018 besser oder noch schlimmer wird?", sagt Filzmaier. Der 24. April dürfte bei der Einschätzung in dieser Frage doch viel verändert haben. Salzburgs Bürgermeister Heinz Schaden gab sich am Montag in der "ZiB1" diesbezüglich keinen Illusionen mehr hin. Platz eins war einmal.<p>Die Strategie von Rot und Schwarz könnte sich dementsprechend ändern: Statt auf eine Wende (oder gar ein Wunder) bis 2018 zu warten, lieber Augen zu und durch und dabei schauen, so wenig wie möglich abzubekommen. Eine Niederlage wird für SPÖ und ÖVP schwer zu verhindern sein, aber sie kann vielleicht halbwegs glimpflich ausfallen.<p>
"Gibt viele Variablen"
<p>Nur wie? Für beide Parteien gibt es entsprechende Szenarien, und zwar sogar solche, bei denen beide profitieren könnten. So wäre es denkbar, dass ein SPÖ-Kanzler, der aus der Wirtschaft kommt, mit der ÖVP zumindest für ein paar Monate recht gut zusammenarbeitet und damit wenigstens eine Idee gibt, dass die große Koalition eben doch noch nicht an ihrem Ende angelangt ist.<p>Das Problem bei allen Szenarien: "Es gibt viele Variablen", sagt der Politikberater Thomas Hofer. Auch der künftige Bundespräsident sei nun so eine Variable. "So berechenbar wie jetzt Fischer wird er nicht mehr sein. Der Bundespräsident wird ein öffentlicher Player." Das macht Neuwahlen für SPÖ und ÖVP zu einem Vabanque-Spiel. Denn so logisch manchmal strategische Spielereien zu sein scheinen, schaut dann die Eigendymanik der Politik häufig anders aus, wie dieser Tage die SPÖ eindrucksvoll darlegt.<p>Gegenwärtig ist sie quasi führungslos und in ihrer thematischen Neuaufstellung erst bei den Vorbereitungen zum Startschuss. Deshalb vielleicht auch der Hinweis von Häupl, dass die ÖVP diese für die SPÖ so vulnerable Situation ausnutzen könnte. Oder war es am Ende gar eine bewusste Provokation des Bürgermeisters?<p>
Druck von der ÖVP
<p>Denn bis tatsächlich Neuwahlen stattfinden, könnte sich die SPÖ längst neu aufgestellt haben, hätte nicht den Makel, die Koalition aufgelöst zu haben und der frische Parteichef kann dank entsprechender Vorschusslorbeeren vielleicht ein paar Prozentpunkte auf die FPÖ gutmachen.<p>Die ÖVP hat jedenfalls bereits gewisse Bedingungen gestellt. Vizekanzler Reinhold Mitterlehner, der vorübergehend Regierungschef ist, will ein Standortpaket schnüren, mehr Deregulierung und sogar das Regierungsprogramm neu verhandeln.<p>Wollen kann man freilich viel. Sehr durchsetzungskräftig ist der Vizekanzler derzeit nicht. "Er ist nur noch Passagier", sagt Filzmaier. Mit einem neuen Parteichef ist die SPÖ grundsätzlich weniger ängstlich vor Neuwahlen als noch mit dem alten, Werner Faymann. Und zweitens ist allen klar, dass im Fall von Neuwahlen die Tage auch von Mitterlehner gezählt wären. "Er hatte sein Zeitfenster im ersten halben Jahr nach der Übernahme von Spindelegger. Da hätte er das Neuwahlrisiko für sich wagen können." Er tat es nicht.<p>
Beim Bundesparteivorstand am Dienstag schloss die Führungsspitze jedenfalls Neuwahlen aus. "Die Inhalte sind wichtig", sagte Mitterlehner, der am Abend erneut auf jene drei prioritäre Punkte verwies (Standortpolitik, Flüchtlingsfrage, Mindestsicherung), die die ÖVP seit Wochen forciert. Wer auch immer die SPÖ ab kommende Woche führen wird, Christian Kern, Gerhard Zeiler oder eine ganz andere Person, wird jedenfalls um prononcierte sozialdemokratische Politik bemüht sein. Sowohl Zeiler als auch Kern sind als Manager in großer Unternehmer "Macher" und werden auch entsprechend auftreten. Gerade beim Thema Arbeitsflexibilisierung wird es für Mitterlehner schwierig werden, durchzudringen. Doch aus der Wirtschaft wird dieser Wunsch immer drängender.<p>
Opposition als Option?
<p>"Es zeigt das Grunddilemma in dieser Partnerschaft einer Mitte-links- mit einer Mitte-rechts-Partei", sagt Filzmaier. "Die müssen einfach oft anderer Meinung sein. Das ist ein Konstruktionsfehler dieser Koalition, die ja auch in Deutschland lange verpönt war." Österreich hat in dieser Hinsicht allerdings eine andere Tradition und die Sozialpartnerschaft hat sich im Lauf der Geschichte bewährt. Sie hat allerdings, wie Filzmaier meint, ein Problem mit der Dynamik dieser Zeit. "Ich kann mir heute den Arbeitsmarkt nicht in Österreich ausschnapsen." Europa ist in dieser Hinsicht längst zusammengewachsen.<p>Diese gewachsenen Strukturen wären durch Neuwahlen aber jedenfalls gefährdet. Gerade für die Gewerkschaft wäre die Oppositionsrolle ein gravierendes Problem. Vielen in der SPÖ steckt die Zeit zwischen 2000 und 2006 noch in den Knochen. "Das war für sie wie eine Nahtoderfahrung", so Filzmaier. Deshalb diskutiert die SPÖ, ob sie pragmatisch genug für eine Kooperation mit den Freiheitlichen ist. Diese Frage müsste wohl vor einer Neuwahl geklärt werden.