Menschen imitieren das Mienenspiel ihres Gegenübers und ziehen daraus Schlüsse.
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Berlin. Mit diesem Lächeln stimmt etwas nicht. Es sieht irgendwie falsch aus, nicht nach reiner Freundlichkeit. Was also führt diese Person im Schilde? Vorsicht scheint angebracht. Menschen sind extrem gut darin, aus dem Mienenspiel ihres Gegenübers solche Schlüsse zu ziehen. Das ist für ein erfolgreiches Zusammenleben schließlich entscheidend: Wer die Anzeichen für Freundlichkeit, Angst oder Wut übersieht, kann ganz schnell falsch reagieren und in Schwierigkeiten geraten.
Wie aber schafft man es, aus zahllosen, feinen Gesichtsbewegungen die richtige Botschaft herauszulesen? Am besten, man vollzieht die fremde Mimik im eigenen Gesicht nach. Eine solche Imitation hilft offenbar für die richtige Interpretation. Zu diesem Schluss kommen Paula Nieden-thal von der University of Wisconsin in Madison und ihre Kollegen im Fachjournal "Plos one".
Psychologen interessieren sich schon länger für solche Vorgänge, die sie als "Gesichts-Mimikry" bezeichnen. In verschiedenen Versuchen haben sie Menschen daran gehindert, die Mimik ihres Gegenübers nachzuahmen. Wer etwa einen Stift zwischen den Zähnen halten muss, tut sich mit der Imitation von Mund- und Wangenbewegungen schwer. Tatsächlich scheint das den Blick auf fremde Emotionen zu verändern. Wer seine untere Gesichtshälfte nicht frei bewegen kann, hat zum Beispiel Probleme beim Erkennen von Freude und Ekel. Blockiert man dagegen die Mimikry der oberen Gesichtshälfte, übersehen Versuchspersonen häufiger den Ärger ihres Gegenübers.
Dabei sind solche Emotionen noch relativ leicht zu erkennen. Beim Lächeln wird die Sache schwieriger. Denn dieser Gesichtsausdruck kann alles Mögliche bedeuten. Mal zeigt er echte Freude, Freundlichkeit oder Amüsement. Doch es gibt auch das "falsche Lächeln", das solche positiven Stimmungen nur vorspiegelt. Wer das aufsetzt, muss keine finsteren Absichten haben. Vielleicht will er auch nur höflich sein. Für sein Gegenüber aber ist es auf jeden Fall nützlich, echtes und falsches Lächeln auseinanderhalten zu können.
Das ist jedoch eine Herausforderung. Denn die Unterschiede sind subtil: Es geht um feinste Abweichungen in den Aktivitäten verschiedener Gesichtsmuskeln, in der Verengung der Augen und im zeitlichen Ablauf der einzelnen Bewegungen. Bei einem so komplexen Geschehen könnte das Nachahmen des fremden Mienenspiels für die richtige Interpretation besonders wichtig sein.
Indizien dafür haben Paula Niedenthal und ihre Kollegen schon bei früheren Experimenten gefunden. Mit einem Stift zwischen den Zähnen ist es demnach viel schwieriger, echtes und falsches Lächeln zu unterscheiden, als normalerweise. Das muss allerdings nicht unbedingt an der unterbundenen Mimikry liegen. Vielleicht hatten sich die Probanden auch einfach mehr auf das Festhalten des Stiftes als auf die Mimik ihres Gegenübers konzentriert? Um das auszuschließen, sind die Forscher der Sache nun mit ausgefeilteren Methoden auf den Grund gegangen.
Mundschutz-Versuch
In diesen neuen Versuchen sollten Studenten beurteilen, ob sich die in Videoclips gezeigten Menschen wirklich über etwas amüsierten oder ob sie nur so taten. Dabei trug die Hälfte der Befragten einen speziellen Mundschutz, wie er beispielsweise Boxer oder Footballspieler vor Zahn-Verletzungen bewahrt. Mit so einem Plastikteil im Mund ist das Gesicht längst nicht so flexibel wie sonst. Deshalb gelang es den damit ausgerüsteten Probanden auch nicht, die auf dem Bildschirm gesehene Mimik nachzumachen. Und prompt wirkte in ihren Augen jedes Video-Lächeln gleichermaßen echt.
An mangelnder Konzentration lag das offenbar nicht. Denn zum einen erfordert das Tragen eines Mundschutzes im Gegensatz zum Halten eines Stiftes kein aktives Handeln. Zum anderen hatten die Forscher auch für die Versuchspersonen mit frei beweglichen Gesichtsmuskeln kleine Ablenkungen eingebaut: Sie mussten während ihres Urteils entweder einen kleinen Ball in der Hand zusammendrücken oder ein Gerät zur Messung der Herzfrequenz am Finger tragen.
Trotzdem hatten diese Menschen keine Schwierigkeiten, ein echtes Lächeln von einem falschen zu unterscheiden. Gesichtsmimikry scheint tatsächlich beim Einschätzen fremder Emotionen zu helfen. Während eines Boxkampfes ist also nicht der richtige Zeitpunkt, um falsche Lächler zu enttarnen. Es sei denn, man nimmt den Mundschutz heraus und riskiert seine Zähne.