Zum Hauptinhalt springen

Orte der Begegnung

Von Monika Jonasch

Hier treffen Generationen aufeinander, Interessen kommen sich in die Quere und soziale Probleme finden ihren Ausdruck. Was müssen öffentliche Plätze heute können, wer trifft sich dort, was trifft hier aufeinander?


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

© © Fotolia

Stadtplaner haben offensichtlich Lieblingsobjekte, mit denen sie öffentliche Plätze bereichern: ein paar Blumenrabatte und Rasenflächen hier, einige Parkbankerln dort, dazu noch ein eingezäunter Kleinkinderspielplatz und eine ebenso eingezäunte Hundezone. Und wenn noch viel Platz da ist, sogar noch ein Ballkäfig. Das Konzept lässt sich dann vielfältig interpretieren zwischen Treff der Generationen bis zu Jugendtreff oder ganz aktuell: Ort der Integration. Für den Laien ist oft nicht einsichtig, wie die Gestaltung eines öffentlichen Platzes zustande kommt. Bemerkt werden stadtplanerische Eingriffe vor allem dann, wenn sie nicht stimmig sind.

Allen kann man es nämlich nie recht machen, das liegt in der Natur der Dinge: Eingefleischten Parkbankerl-Sitzern fortgeschrittenen Alters ist es schnell zu laut, Kindern und Jugendlichen zu eng, die Hunde halten sich nicht an die Hundezone, und wo alteingesessene Wiener auf Stadtbewohner mit anderen ethnischen Hintergründen stoßen, sind Probleme vorprogrammiert. Wie muss Stadtplanung also funktionieren, um diesen vielfältigen Ansprüchen gerecht zu werden?

Brennpunkte

Öffentliche Plätze waren immer Brennpunkte für Zeitphänomene. Zwischen ausufernden Mega-Cities und Globalem Dorf sind sie auch heute noch Austragungsorte der unterschiedlichsten Interessen. Die Gesellschaft, die diese Plätze als Bühne und als Treffpunkt nutzt und sie zu Reibungspunkten ihrer inneren Befindlichkeiten macht, hat Oliver Frey, Soziologe und Stadtplanungsexperte am Department für Raumentwicklung, Infrastruktur- und Umweltplanung der Technischen Universität Wien, ausführlich studiert. Von einfachen Lösungen für die Gestaltung solcher Plätze hält er wenig, sich auf Formeln und gar einen Mittelwert zu berufen, das ist ihm zu kurz gegriffen.

"Stadtplanung ist eigentlich eine Gesamtwissenschaft. Gesellschaftliche Strukturen verändern sich laufend, ebenso die individuellen Verhaltensweisen. Das sind so komplexe Prozesse, dass sie kaum errechenbar sind", meint er vorsichtig.

Wie viel Spannung, wie viel Fremdheit der Einzelne aushält, ist sehr unterschiedlich und daher ist auch das Nutzungsverhalten von öffentlichen Plätzen ein sehr individuelles, hat Frey herausgefunden. Während der eine also den Beserlpark ums Eck als willkommenes verlängertes Wohnzimmer nutzt, ist dieser dem anderen unsympathisch.

Da positioniert sich ein Museumsquartier als viel beachteter Treffpunkt urbaner Wiener Jugend. Und doch hat auch die sparsame Grünzone als Grätzel-Treff ihre Berechtigung, unterstützt lokale Identität und Begegnungen in der Nachbarschaft.

Renaissance der Stadt

Aber braucht es denn noch reale Treffpunkte, wenn die Welt sowieso schon virtuell grenzenlos vernetzt ist, man sich im WWW trifft? Wozu Stadtleben, wenn wir doch alle schon im Globalen Dorf zu Hause sind?

Ein Bankerl, ein bisschen Spielplatz und wenig Grün - der Liesinger Platz als Spielwiese für Stadtplaner ist ein Anschauungsobjekt neueren Datums.

"Das Phänomen des ‚Globalen Dorfes‘ heißt nicht, dass die Stadt nicht mehr attraktiv ist. Tatsächlich erleben wir derzeit geradezu eine Renaissance der Städte, ihre Nutzungsmischung, die kurzen Wege und die Möglichkeit ungeplanter Begegnungen sind für viele Menschen attraktiv und werden dies wohl auch in Zukunft bleiben", so Frey.

Städte wie Wien wachsen also immer noch, aber ist grenzenloses Wachstum immer erstrebenswert? Der Soziologe wagt dies zu bezweifeln. Er sieht auch in einer Schrumpfung von Ballungszentren Chancen. Wachstum gehört ebenso zum (Stadt-)Leben wie Schrumpfung, betont Frey. Große Abwanderungsbewegungen, Überalterung der Bevölkerung und damit verändertes Nutzungsverhalten sowie Deindustrialisierung führen in vielen Teilen der Welt immer wieder zum Schrumpfen von Städten. Dann stehen ganze Stadtviertel leer, verfallen, bieten aber auch Möglichkeiten für einen stadtplanerischen Neuanfang. Frey dazu: "Wachstum ist eben auch nur eine Fantasie, aber wichtig ist doch, wohin uns all das letztlich führen soll."

Unverplante Freiheit

Und was ist, wenn man einen öffentlichen Platz einfach sich selbst bzw. der Natur und den Menschen überlässt? Immerhin schwärmen viele heute erwachsene Menschen, wenn sie von ihrer Kindheit erzählen, von jenen Orten, wo wild wucherte, was auch immer wollte, wo man sich selbst überlassen war, unbewacht, ungesehen - wild und frei.

"Auch das ist ein Ansatz, der derzeit wieder viel diskutiert wird", meint Oliver Frey. Allerdings gibt es eben immer weniger "unbewachte" Kinder und allein durch ihr gesteigertes Sicherheitsbedürfnis schränken sich die Menschen in ihrer Freiheit bei der Nutzung solcher Räume heute mehr ein als früher, gibt er zu bedenken.

Masse und Milieu

"Sag mir, wo du wohnst, und ich sage dir, wer du bist..." - so oder ähnlich vereinfacht könnte man die Einbettung sozialer Milieus in die entsprechenden Bezirke und Stadtteile umreißen. Und doch, wieder einmal machen die Komplexität der Gesellschaft und ihre permanente Veränderung der einfachen Sichtweise einen Strich durch die Rechnung. "Die amalgame Stadt" ist einer der Lieblingsausdrücke des TU-Soziologen und Stadtplaners. Darunter versteht Oliver Frey die Vermischung und Verschmelzung von Nutzungsräumen und sozialen Strukturen. Öffentliches und privates Leben vermischt sich, die Gegensätze "draußen" und "drinnen" verschwimmen und werden immer wieder neu definiert. Und längst stehen bestimmte Stadtviertel nicht mehr für bestimmte soziale Milieus.

Diese Entwicklung lässt sich auch auf den öffentlichen Plätzen einer Stadt beobachten: Draußen wird mittlerweile telefoniert und gearbeitet, was lange Zeit nur im Büro bzw. zu Hause möglich war. Privat und öffentlich vermischen sich: Man lernt, spielt, arbeitet, trifft sich drinnen ebenso wie draußen.

© © Kronsteiner/PID / HERBERT KRONSTEINER

Hinzu kommt als zusätzlicher Druck die Enge der privaten Räumlichkeiten, was vor allem Jugendliche hinaus treibt. Sie suchen die Freiheit des öffentlichen Raums, Begegnungen mit Gleichaltrigen, Bewegungsfreiheit, Meinungsfreiheit und all das ohne die wachsamen Augen der Eltern.

Gleichzeitig nimmt aber auch die Angst im öffentlichen Raum zu, es wird nach mehr Sicherheit verlangt, nach Polizeipräsenz und Überwachungskameras, also ein geradezu diametral entgegengesetztes Bedürfnis, konstatiert Oliver Frey. "Das Sicherheitsbedürfnis ist ein sehr subjektives Kriterium. Verlangen die einen nach mehr Überwachung, sehen die anderen genau darin ihre Freiheit beschnitten. Gleichzeitig ist zu beobachten, dass Toleranz allgemein im Schwinden begriffen ist", umreißt er die problematische Schere, die sich da auftut.

Mensch und Raum

Zwischen den Menschen, die sich auf den Plätzen und Straßen der Städte begegnen, und den Orten selbst kommt es immer zu Wechselwirkungen. Was liegt also näher, als diese Wechselwirkung als planbares Vehikel zu benützen, um die menschliche Gesellschaft zu formen? Die Studie "Neuinterpretation öffentlicher Räume" warnt davor, diesen Trugschluss allzu ernst zu nehmen: "Die Planung und Gestaltung des öffentlichen Raums kann ermöglichen und verhindern, sie kann Angebote schaffen, sogar Freude und Wohlbefinden verbreiten; soziale Phänomene entziehen sich jedoch ihrer Steuerung."

Gestaltung ja, Steuerung nein, so könnte man es somit zusammenfassen. Die Stadtplanung muss also eine vorausschauende Folgenabschätzung betreiben, gewisse Strukturen zur Verfügung stellen, um den grundlegendsten Ansprüchen der Menschen gerecht zu werden, fasst es Oliver Frey zusammen. Strategien und Maßnahmen müssen in Zusammenhang mit den zu gestaltenden Orten und ihrer Nutzung gestellt werden. Soziale Beziehungen in der Nachbarschaft, die verschiedenen menschlichen Rollen zwischen Arbeitsalltag und Freizeitverhalten sowie das Aufeinandertreffen der unterschiedlichsten Bevölkerungsgruppen sind dabei wichtige Beobachtungsfelder.

Je vielfältiger sich ein öffentlicher Platz nutzen lässt, desto besser. Dann wird er zum Ort der Begegnung, zur Bühne, zum Erholungsraum ebenso wie zum Transitraum und damit zur attraktiven Visitenkarte einer Gesellschaft, resümiert die Studie.

Zur Person: Dipl-Ing. Mag. Dr. Oliver Frey ist Soziologe sowie Stadt- und Regionalplaner. Er ist Leiter des Forschungsfeldes "Stadtkultur / kreative Milieus / neue urbane Lebensstile" am Fachbereich Soziologie (ISRA) im Department für Raumentwicklung, Infrastruktur- und Umweltplanung an der Technischen Universität Wien. Seine Tätigkeitsschwerpunkte in Lehre und Forschung sind: Methoden der empirischen Sozialforschung, Sozialraumanalyse, Urban Governance, Partizipation, Methoden und Instrumente der Stadterneuerung, Soziale Ungleichheit und Segregation, Raumtheorien, Planungstheorien, Kreative Milieus und urbane Kulturen sowie amalgame Stadt.

Weiterführende Links:Zur "amalgamen Stadt":

http://isra.tuwien.ac.at/frey/Deutsch/Die%20amalgame%20Stadt.pdf - Abstract des Buches "Die amalgame Stadt" von Oliver Frey

http://edoc.hu-berlin.de/e_histfor/8/PHP/Beitraege_8-2006.php#795 - Artikel "Ein neuer Stadttypus in der Wissensgesellschaft. Die amalgame Stadt der kreativen Milieus" von Oliver Frey

Studie "Neuinterpretation öffentlicher Räume": http://www.wien.gv.at/stadtentwicklung/studien/pdf/b008036.pdf

Werkstattbericht zur Ausstellung "Draußen in der Stadt. Öffentliche Räume in Wien": http://www.wien.gv.at/stadtentwicklung/studien/pdf/b008008.pdf

Artikel erschienen am 16. November 2012 in: "Wiener Zeitung", Beilage "Wiener Journal", S. 4-8