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Ortstafelstreit à la Kroatien

Von WZ-Korrespondentin Marijana Miljkovic

Politik

Minderheitenrechte für Serben versus | Kriegsverbrechen an Kroaten.


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Vukovar. Kroatien ist nur wenige Monate vom Beitritt in die EU entfernt - trotzdem scheint das Land immer wieder von der Vergangenheit eingeholt zu werden. Seit die Regierung Anfang des Jahres angekündigt hat, in der ostslawonischen Stadt Vukovar Ortstafeln in Kyrillisch aufzustellen und Schilder von Amtsgebäuden und Straßen auch auf Serbisch zu beschriften, schwelt ein Konflikt im ganzen Land. Zweisprachigkeit ist verfassungsrechtlich vorgeschrieben, wenn die Minderheitsbevölkerung mehr als ein Drittel ausmacht. Die anti-serbische Stimmung, die zu tätlichen Übergriffen geführt hat, macht auch Politikern Sorgen.

"Das Zusammenleben in Vukovar funktioniert weitestgehend, ich weiß nicht, warum man dieses Gesetz jetzt durchführen muss. Unsere Politiker sind ja auch sonst nicht so genau, wenn es um die Durchführung von Gesetzen geht", sagt die 43-jährige R. M., Bürgerin von Vukovar. In Vukovar sind die Spuren der Zerstörung noch 18 Jahre nach Ende des Kriegs 1995 zu sehen. Es war die erste Stadt, die 1991 von serbischen Truppen fast dem Erdboden gleichgemacht wurde. Tausende Menschen wurden vertrieben und ermordet, hunderte gelten noch als vermisst.

Anfang Februar hatten sich etwa 20.000 Menschen in Vukovar versammelt, um gegen die serbische Schrift zu demonstrieren. "Wir haben Vukovar verteidigt, nicht ,Bykobap‘", lautete die Parole der Kriegsveteranen. Sie haben einen "Rat für die Verteidigung von Vukovar" gegründet und verlangen ein Moratorium auf die Einführung von Kyrillisch und eine neue Zählung in der Stadt. "Die Einführung von Kyrillisch ist verfrüht, davor müssen andere wichtige Dinge geklärt werden", sagt Vlado Iljkic, Präsident des Rates. Zum einen stellt er das Ergebnis der Volkszählung in Frage, laut der knapp 35 Prozent der Stadtbewohner Serben sind, zum anderen befürchtet er, dass die Einführung bei einigen Veteranen, die unter posttraumatischem Stress leiden, gesundheitliche Folgen haben könnte. Ausschreitungen schließt er nicht aus.

Zeljko Sabo, Bürgermeister von Vukovar, hat Verständnis für die Gegner, will aber nicht daran rütteln, dass das Gesetz umgesetzt werden muss. Er selbst, in Vukovar geboren, hat seine Stadt verteidigt und ist in drei Gefangenenlagern gewesen, sagt der Sozialdemokrat. Er sieht die Proteste im Licht der kommenden Lokalwahlen im Mai, instrumentalisiert von rechten und konservativen Parteien.

Auch Dragan Crnogorac, Vertreter der Serben in Vukovar, befürchtet, dass die Schrift für den Wahlkampf missbraucht wird. "Die Ankündigung von der Regierung, die Schilder erst nach den Wahlen aufzustellen, ist gut", so Crnogorac, der annimmt, dass die zweisprachigen Schilder noch vor dem EU-Beitritt aufgestellt werden. "In Vukovar haben wir größere Probleme als zweisprachige Ortstafeln. Das ist ein Thema, das uns von außen aufgestülpt wurde", sagt er. "Hier haben Kroatien und Serben immer zusammengelebt."

Im Licht der ökonomischen Situation in Vukovar, das einst eine Industriestadt war und deren Entwicklung sich bisher keine Regierung ernsthaft angenommen hat, sieht auch Mirjana Mikic vom Zentrum für Friedensstudien in Zagreb die Debatte. "Armut ist ein großer Faktor", sagt Mikic, die in der tristen Wirtschaftslage den Hauptgrund für die Ablehnung sieht. In Istrien, der reichsten Region Kroatiens, hätten zweisprachige Ortstafeln auf Kroatisch und Italienisch hingegen kein Konfliktpotenzial, betont sie.

Während es in Vukovar bisher zu keinen tätlichen Übergriffen gekommen war, sorgte ein ethnisch motivierter Angriff auf Seminaristen des serbisch-orthodoxen Klosters Krka in der Nähe von Knin am Wochenende jedoch für Reaktionen seitens der Politik. Sieben Klosterschüler waren am Sonntag von einer Gruppe kroatischer Jugendlicher zuerst verbal, dann mit Baseballschlägern angegriffen worden. Premier Zoran Milanovic berief am nächsten Tag eine außerordentliche Pressekonferenz ein und verurteilte den Vorfall aufs Schärfste. "Es geschehen ernste Dinge in Kroatien", sagte Milanovic, der den rechten Parteien in Kroatien vorwarf, die Menschen aufzustacheln.

Milorad Pupovac, Vertreter der Serben im kroatischen Parlament, sagte: "Man darf nicht zulassen, dass nach so vielen Jahren diese Art von Gewalt stattfindet." Pupovac sieht in den Geschehnissen der vergangenen Monate in Vukovar und Aussagen von rechtsgerichteten Politikern die "Erneuerung einer rechten Politik", wie damals in den 1990er Jahren und während der Mitte-Links-Regierung 2000-2003, als rechte Parteien mangels politischer Ideen mit interethnischen Konflikten und anti-europäischen Ideen punkteten. Eine solche Politik bedrohe das bisher erreichte Maß an Freiheit und Demokratie in Kroatien, klagt Pupovac in einem Zeitungs-Interview. "Sie sind nicht in der Lage, an der Stärkung des Rechtsstaats zu arbeiten, sondern umgekehrt, an der Errichtung eines Blut- und Bodenrechts."

Ob es gelingt, in Kroatien die Stimmung umzukehren, wird sich weisen. Einen ersten heiklen Testlauf gab es bereits am Freitag - da trafen die Fußballmannschaften Kroatiens und Serbiens in Zagreb für das Qualifikationsspiel für die Weltmeisterschaft 2014 aufeinander. Die Polizei war jedenfalls in Alarmbereitschaft.