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Die Demonstranten auf Kairos Tahrir-Platz haben eine Verstärkung bekommen, die Mubaraks politisches Überleben in der Präsidentschaft zumindest bis zu den Septemberwahlen sichern könnte. Bedanken dafür darf sich der bei seinen amerikanischen und europäischen Freunden in Ungnade gefallene "Stabilitätsfaktor der Region" bei den Gewerkschaften. Davon gibt es in Ägypten rund 35 und etliche haben ihre Mitglieder dazu aufgerufen, für Lohnerhöhungen auf die Straße zu gehen. Ihre Zahl wuchs bis zuletzt stündlich.
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Mubarak kann dies nur gelegen kommen. Denn wenn der Ruf nach mehr Brot jenen der unversöhnlichen Jugend nach mehr Freiheit übertönt, könnte dies seine Rettung sein - zumindest für die sieben Monate bis zum Wahltermin im September. Mehr Brot kann er geben, mehr Freiheiten aber offenbar nicht. Mubarak hätte mit solcherart bedienten Gewerkschaftsbossen erstmals wieder Zivilisten als Verbündete auf seiner Seite. Und Ägypten würde wegen der finanziellen Zugeständnisse an das Beamtenheer und die Beschäftigten der vielen Staatsbetriebe nicht gleich zahlungsunfähig werden. Zumal die Saudis schon Überweisungsbereitschaft signalisierten, falls Washington schmollen sollte oder meint, vor der Weltöffentlichkeit nicht Schecks schicken zu können.
Während hier das Ende bis auf weiteres offen bleibt, ist eines sicher: Osama Bin Laden erweist sich als Eremit des Bösen ohne Gefolgschaft der moslemischen Jugend zwischen Atlasgebirge im Westen und Persischem Golf. Mit dem Blick nach Kairo dürfen wir aufatmend zur Kenntnis nehmen, dass die Träume, Sorgen und Ziele dieser Jugend in etwa deckungsgleich sind mit denen von arbeitslosen oder unterbezahlten Jugendlichen hierzulande. Sie lauten: Ausbildung, Jobs, Freiheit, Menschenrechte. In dieser Reihenfolge. Allah und die USA als Todfeind kamen jedenfalls nicht vor. Das bedeutet: Osama ist out, Facebook, Twitter und Google sind in.
Diese Prioritäten der arabischen Jugend werfen allerdings eine weitere Frage auf. Zum Verständnis eine Szene aus der Belagerung des Parlaments: Da ist dieser Demonstrant, etwa 30 Jahre alt. Er schreit den westlichen Journalisten ins Gesicht: "Vergleicht uns nicht mit Tunesien. Wir wollen, dass Ägypten wird, wie zum Beispiel Schweden. Warum soll uns das nicht gelingen? Sind wir weniger begabt als die Schweden oder dümmer?" Eine Hundertschaft skandiert und applaudiert.
Das müsste doch ein höchst willkommener Anlass für diverse Fachfrauen und Fachmänner sein, uns vor laufenden Kameras zu erklären, weshalb Jugendliche in Ägypten von schwedischen Verhältnissen schwärmen und moslemische Jugendliche aus den gleichen Ländern in Schweden oder bei uns die Faust für den Gottesstaat heben. Hat es vielleicht auch mit den sektiererischen Lehrmeistern in einigen unserer Moscheen zu tun.
Werner Stanzl ist Autor und Verlagslektor in Kärnten und war zuvor außenpolitischer Journalist.