Jerusalem · Auch für den Verwalter des größten Holocaust-Archivs der Welt war es ein Erlebnis, einen ganzen Koffer voll echter Dokumente des wohl berühmtesten Judenretters während des | Zweiten Weltkriegs überreicht zu bekommen. "Das ist für mich ein bewegender Augenblick", sagte der Direktor der Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, Avner Shalev, als er am Mittwoch | "Schindlers Koffer" vom Korrespondenten der "Stuttgarter Zeitung" in Israel entgegennahm. Aus dem Koffer, über den in aller Welt und so auch in Israel mit großen Schlagzeilen berichtet worden ist, | holte Shalev die noch berühmteren "Schindlers Listen" hervor.
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Als Anerkennung für die Rettung von Juden während des Holocaust lässt Yad Vashem nichtjüdischen "Gerechten der Völker" einen ewig grünen Baum in der "Allee der Gerechten" pflanzen. Oskar Schindler
gilt in Yad Vashem als einer der bedeutendsten Judenretter, nicht nur wegen der Verfilmung seiner Taten durch US-Regisseur Steven Spielberg. Nur wenige "Gerechte" konnten mehr als nur einen einzigen
Juden oder einige wenige vor dem Tod in den Gaskammern retten. Schindler hingegen bewahrte dank seiner "Listen" rund 1.200 Juden vor ihrer Ermordung.
Die Dokumente verursachten eine emotionsreiche Begeisterung unter den Mitarbeitern von Yad Vashem. Shalev entdeckte zuerst eine vervielfältigte Sammlung mit Aufsätzen israelischer Schüler. Auf
Hebräisch hatten die Kinder 1966 von ihrer Begegnung mit Schindler erzählt. "Schindler war deutscher Nationalität und Angehöriger der Rasse Mensch", hatte da ein Mädchen formuliert. Shalev las den
Satz vor. Die geheftete Sammlung war in Yad Vashem hergestellt worden. "So kommt zu uns zurück, was von hier stammt", meinte Shalev gerührt.
Die berühmten "Listen" verursachten das größte Interesse. Zwei Archivare begutachteten die zum Teil bestens erhaltenen, zum Teil vergilbten und zerknitterten Namenslisten. Einige Exemplare waren kaum
noch lesbar. Shalev wollte sofort erfahren, wie viele Namen in den Listen enthalten seien und ob die Durchschläge mit den Originalen identisch seien. Die Antwort wird er von der Forschungsabteilung
von Yad Vashem erhalten, sobald die Dokumente aufgearbeitet und von den Experten der Gedenkstätte einzeln geprüft wurden.
Gelächter erzeugte eine Mappe mit Dokumenten zum Eröffnungsflug der Lufthansa im Jahr 1968 von Frankfurt nach Tel Aviv. Botschafter Asher Ben Natan hatte den Teilnehmern des Fluges eine Einladung
geschickt. Einer der geladenen Honoratioren erzählt, dass Oskar Schindler während des Fluges nach Israel "ziemlich laut und offenbar angeheitert" gewesen sei. Der "Beweis" dafür lag in der Mappe · in
Form einer Rechnung. Oskar Schindler war offenbar mit dem Zug zum Flughafen gefahren und hatte im Speisewagen vier Schnäpse und vier Biere bestellt. Vielleicht ist er dort auch einem Überlebenden von
Treblinka begegnet. Auf der Rückseite der historischen Rechnung war der Name eines polnischen Juden und "Treblinka" handschriftlich notiert.
"Schindlers Koffer" sei für Yad Vashem ein sehr ungewöhnliches Dokument der Zeitgeschichte. So sei der Einblick in das Leben eines Retters auch nach dem Holocaust möglich, betonte Shalev. Er äußerte
die Hoffnung, dass auch Andere, Retter wie Gerettete, Dokumente in ihrem Besitz zur "ewigen Aufbewahrung" in Yad Vashem abliefern mögen. Die "offizielle" Übergabe von "Schindlers Koffer" an Yad
Vashem in Anwesenheit der Stuttgarter Familie, die ihn auf dem Dachboden gefunden hat, wird voraussichtlich im Dezember stattfinden.