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Die Sache ist noch nicht völlig geklärt. Doch Indizien und auf ihre Authentizität geprüfte Fotos sprechen dafür, dass die türkische Armee im September 2009 mit international verpönten Chemiewaffen gegen kurdische Rebellen vorgegangen ist und dabei Gegner grausam verstümmelt und getötet hat.
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Sollte sich dieser Vorwurf gerichtsfest beweisen lassen, darf auch die Republik Österreich (als EU-Nettozahler) stolz darauf sein, indirekt ein Scherflein zu den Kosten derartiger Einsätze beigetragen zu haben. Denn seit 2002 sind rund drei Milliarden Euro aus EU-Fonds in das türkische Budget geflossen, aus dem natürlich auch das Militär alimentiert wird; bis 2010 sollen noch einmal bis zu drei Milliarden Euro nach Ankara fließen.
Selbst wenn auch hier die Unschuldsvermutung gilt: Chemiewaffen als Instrument der Minderheitenpolitik sind kein wirklich überzeugendes Argument dafür, die Fiktion eines türkischen EU-Beitrittes weiter aufrechtzuerhalten. Und auch die Überweisung von weiteren Milliarden an (Vor-)Beitrittshilfen an die sich immer mehr von diesem Beitritt entfernende Türkei wird sich dem europäischen Souverän gegenüber nur schwer argumentieren lassen, wenn gleichzeitig überall die Bürger finanziell belastet werden.
Es wäre an der Zeit, diesem Unfug auch offiziell ein Ende zu machen. Und stattdessen mit den Türken in ein freundschaftliches Gespräch darüber einzutreten, was an die Stelle des Beitritts treten sollte. Dies umso mehr, als ja auch die Türkei selbst dabei ist, sich als regionale Großmacht neu zu erfinden; ein Status, der ihr aufgrund ihrer Lage, ihrer wirtschaftlichen und militärischen Stärke und nicht zuletzt ihrer Geschichte zukommt. Dies entspricht dem nationalen Interesse der Türkei und ist völlig legitim. Nur: Mit einer EU-Mitgliedschaft ist eine derartige neue geostrategische Position Ankaras eher inkompatibel.
Denn um in der künftigen "weiteren türkischen Einflusszone" an Gewicht zu gewinnen, setzt Ankara zunehmend auf eine Abkehr von westlichen und/oder europäischen Positionen. Dazu gehört die gegen den einstigen Verbündeten Israel gerichtete Politik von Premier Erdogan - eindeutig ein populistischer Appell an die Araber - ebenso wie das Kuscheln Ankaras mit dem atomwaffenbastelnden Iran. Dass die Türkei neuerdings sowohl mit der Baath-Diktatur in Syrien als auch mit den Saudis gute Beziehungen pflegt, passt in dieses Bild.
Auch wenn man historische Vergleiche nicht über die Maße bemühen soll: Was sich hier abzeichnet, deutet stärker auf die Konturen des untergegangenen Osmanischen Reiches hin als auf ein gewöhnliches EU-Mitglied. Es ist nicht ohne Ironie, dass nach dem Beitritt des katholischen Kroatien zur EU die Trennlinie zwischen der weiteren türkische Einflusszone und Europa teilweise vorerst wieder da sein wird, wo sie zu Zeiten des Osmanischen Reiches war. Das ist auch weiters kein Problem. Aber vielleicht ein Symbol dafür, dass in der EU nicht zusammenwachsen soll, was nicht zusammengehört.