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Ost-West-Balance ist gelungen

Von Axel Reiserer

Politik

Wien - Mit ihrem überwältigenden Votum von 90 Prozent für die staatliche Unabhängigkeit bereitete die Bevölkerung der Ukraine am 1. Dezember 1991 der Sowjetunion den Todesstoß. Dennoch dauerte es Jahre, bis das Land mit der Unabhängigkeit zu leben lernte. Obwohl die wirtschaftliche Lage bis heute schlechter als in Russland ist, gilt die Gefahr eines Zerfalls der Ukraine als gebannt.


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Der Widerspruch zwischen dem an Russland orientierten Osten, wo rund elf Millionen Russen leben, und dem nach Europa ausgerichteten Westen ist weiterhin vorhanden. Beide Lager akzeptieren aber heute die Existenz einer unabhängigen Ukraine. Dazu hat Präsident Leonid Kutschma wesentlich beigetragen. Der ehemalige Manager des größten sowjetischen Raketenkonzerns "Juschmasch" konnte das Land in den letzten Jahren geschickt zwischen Ost und West positionieren. Mit Russland gelang nach jahrelangen Streitigkeiten mit dem im Mai 1997 geschlossenen Freundschaftsvertrag ein historischer Ausgleich, dem Westen näherte sich Kiew in den letzten Jahren durch die Aufnahme der Zusammenarbeit mit der EU und der NATO schrittweise an.

Obwohl die wirtschaftliche Erholung des Landes weiter auf sich warten lässt, ist die politische Stellung von Präsident Kutschma praktisch unangefochten. Im November des vergangenen Jahres gewann er in einer Stichwahl eine zweite Amtszeit und nahm wenig später eine umfassende Regierungsumbildung vor. Auf den einstigen Kutschma-Vertrauten Waleri Postowoitenko folgte der bisherige Zentralbankchef Viktor Juschtschenko als neuer Ministerpräsident, der in den internationalen Finanzorganisationen einen ausgezeichneten Ruf genießt und als Anhänger radikaler marktwirtschaftlicher Reformen gilt.

In einem auch international umstrittenen und kritisierten Referendum sorgt Kutschma im April für eine weitere Stärkung seiner politischen Stellung. Die mit großer Mehrheit vom Volk angenommenen Verfassungsänderungen sehen vor, die Immunität der Parlamentarier aufzuheben und eine zweite Parlamentskammer zu schaffen, deren Mitglieder der Präsident selbst ernennt. Das Parlament wird von 450 auf 300 Sitze verkleinert und kann künftig leichter vom Präsidenten aufgelöst werden.

Überschattet war die bisherige Amtszeit Kutschmas von einer ausufernden Korruption. In einem der spektakulärsten Fälle soll der frühere Regierungschef Pawel Lasarenko mehr als 260 Millionen Dollar unterschlagen haben. Lasarenko, der in die USA geflüchtet und bei der Einreise verhaftet worden ist, richtete seinerseits schwere Vorwürfe gegen Kutschma.

Zwischen Österreich und der Ukraine bestehen enge historische Beziehungen. Der heutige Westen des Landes mit der wichtigsten Stadt Lwow (Lemberg) gehörte einst als Teil Galiziens und der Bukowina zur Habsburger-Monarchie und war Heimstätte des Ostjudentums.