Das deutsche Begleitgesetz zum Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon muss geändert werden - kann Österreich dabei als Vorbild dienen?
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Das am 30. Juni ergangene Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungskonformität des Zustimmungsgesetzes zum Vertrag von Lissabon stellte fest, dass das Zustimmungsgesetz selbst mit dem Bonner Grundgesetz (GG), der deutschen Verfassung aus 1949, vereinbar ist, nicht aber eines seiner Begleitgesetze.
Das Begleitgesetz über die Ausweitung und Stärkung der Rechte des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der EU sei nämlich insoweit verfassungswidrig, als es dem Bundestag und Bundesrat im Rahmen von europäischen Rechtsetzungsverfahren keine hinreichenden Mitwirkungsrechte einräumt.
Die deutsche Regierung kündigte sofort nach der Urteilsverkündung an, das Begleitgesetz noch in der Sommerpause entsprechend überarbeiten zu wollen, sodass dieses noch vor der Bundestagswahl am 27. September und vor allem vor der zweiten irischen Volksabstimmung über den Vertrag von Lissabon am 2. Oktober beschlossen werden könnte. In diesem Zusammenhang erklärte der Sprecher der CSU-Landesgruppe im Bundestag für EU-Angelegenheiten, Thomas Silberhorn, dass sich die CSU "nicht am dänischen Modell, sondern an Österreich als Vorbild orientieren" wolle, ein Vorschlag, den wenig später Außenminister Michael Spindelegger in einem Interview in der "FAZ" begrüßte.
Heimische Rechtslage
Gemäß Artikel 23 Absatz 3 GG hat die deutsche Bundesregierung dem Bundestag in EU-Angelegenheiten "Gelegenheit zur Stellungnahme" zu geben. Diese Stellungnahmen hat die Bundesregierung nur zu "berücksichtigen", nicht aber zu befolgen. Im Gegensatz dazu hat der österreichische Nationalrat - und unter gewissen Voraussetzungen auch der Bundesrat - gemäß Artikel 23e B-VG die Möglichkeit, der Bundesregierung bindende Stellungnahmen mit auf den Weg nach Brüssel zu geben. Liegt nämlich dem zuständigen Mitglied der Bundesregierung eine Stellungnahme des Nationalrates zu einem Vorhaben im Rahmen der EU vor, dann ist dieses bei Verhandlungen und Abstimmungen in der EU an die Stellungnahme gebunden und darf davon nur aus "zwingenden außen- und integrationspolitischen Gründen" abweichen. Wenn der zuständige Bundesminister von der Stellungnahme abweichen will, hat er den Nationalrat erneut zu befassen und die Gründe für die Abweichung unverzüglich mitzuteilen. Im Nationalrat wurde dafür ein "Hauptausschuss in EU-Angelegenheiten" und ein "Ständiger Unterausschuss EU" eingerichtet, dessen Aufgaben im Notfall auch von einem sogenannten "Feuerwehr-Komitee" wahrgenommen werden können, das für den gerade im Rat der EU tätigen Bundesminister rund um die Uhr erreichbar ist.
Diese von Österreich anlässlich seines Beitritts zur EU Ende 1994 verfassungsrechtlich verankerte Lösung wurde politisch (nur) deswegen möglich, da die damalige SPÖ-ÖVP-Koalitionsregierung ihre Zweidrittelmehrheit im Nationalrat verloren hatte und daher beim Beschluss des EU-Beitritts sowie der verfassungsrangigen Begleitgesetze auf die Mitwirkung der Oppositionsparteien angewiesen war. Das "Gegengeschäft" dafür war, dass die Bundesregierung dem Parlament das Recht zur bindenden Stellungnahme einräumte.
Diese Beteiligungsmöglichkeit des Parlaments an Vorhaben im Rahmen der EU iSv Art 23e B-VG wurde seitens der Legislative nur zögernd in Anspruch genommen und führt auch zu einer starken Bindung des Vertreters im Rat.