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Österreich baut sich zu

Von Michael Ortner

Politik
Für Speicherteiche wie hier im Längental werden riesige Flächen zerstört.
© WWF, Christian Lendl

Der Flächenverbrauch schreitet seit Jahren voran. Statt verbindlicher Vorgaben gibt es von der Politik nur Bekenntnisse. Die Umweltschutzorganisation WWF fordert deshalb einen Bodenschutz-Vertrag für Österreich.


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Wo vorher Felder waren, klafft nun ein grauer Parkplatz in der Landschaft. Produktive Böden verschwinden unter Gewerbeparks. Einfamilienhäuser entstehen auf der grünen Wiese. Für Skipisten, Lifte und Wasserspeicher wird Erdreich weggebaggert.

Österreich verliert immer mehr kostbare Fläche: 2019 waren es laut der Umweltschutzorganisation WWF 13 Hektar pro Tag. Zahlen wie diese werden in der Regel mit der Größe von Fußballfeldern verglichen, damit man sie sich besser vorstellen kann. Ein anderer Vergleich macht es noch deutlicher. Alle zehn Jahre wird eine Fläche von der Größe Wiens verbaut.

Die Problematik ist der Politik seit Jahren bekannt. Doch bisher gab es nur Bekenntnisse. 2002 etwa legte die Regierung eine Nachhaltigkeitsstrategie fest. Bis 2010 sollte der Verbrauch auf maximal 2,5 Hektar pro Tag reduziert werden. Das Ziel wurde allerdings weit verfehlt. 42.000 Hektar wurden seither zu viel verbraucht. Seit 2010 ist der Flächenverbrauch zwar gesunken, doch er ist immer noch viel zu hoch.

Artenvielfalt bedroht

Man könnte nun sagen, dass die Bevölkerung wächst und deshalb einfach mehr Platz braucht. Doch der Flächenverbrauch steigt mehr als doppelt so schnell wie die Bevölkerung. Seit 2001 nahm der Flächenverbrauch um 27 Prozent zu, die Bevölkerung aber nur um 10,4 Prozent. In einem Bericht der Statistik Austria bewerten Experten diese Entwicklung als "eindeutig negativ".

"Die ökologischen Folgen der Verbauung sind massiv", sagt WWF-Bodenschutzsprecherin Maria Schachinger bei der Vorstellung des "Bodenreports 2021". Je mehr Fläche verbraucht wird, desto mehr ist auch die Artenvielfalt bedroht. Laut dem WWF-Biodiversitätsexperten Bernhard Kohler sind 83 Prozent der Arten und Lebensräume in Österreich in einem schlechten Zustand, ein Drittel der Arten gilt als gefährdet. "Der Bodenverbrauch ist nicht alleiniger Faktor, aber ein wichtiger", sagt Kohler. Autobahnen und Parkplätze zerschneiden Lebensräume von Tieren wie Rothirsch, Luchs oder Wolf. Die Verkehrsinfrastruktur behindert ihre Wanderung. Arten werden isoliert, es steigt die Gefahr, dass die aussterben.

Gewerbeparks fressen Fläche

Die Treiber für den starken Flächenfraß in Österreich sind vielfältig. Die Zersiedelung spielt eine große Rolle. Menschen ziehen an die Ortsränder, Gemeinden fransen so immer weiter in die umliegende Landschaft aus. Um die Menschen anzubinden, müssen immer mehr Straßen gebaut werden. In der Folge wächst der Verkehr und mit ihm die Emissionen. Österreich hat mit 15 Metern Straße pro Kopf eines der dichtesten Straßennetze Europas.

Zum anderen sind große Gewerbeparks und Shopping Center verantwortlich dafür, dass immer mehr Flächen verloren gehen. Raumplaner sprechen von "Donut-Dörfern", wenn Ortskerne aussterben und ihre Ränder wachsen. Seit 2000 hat sich die Anzahl der Shopping Center in Österreich von 113 auf 264 mehr als verdoppelt. "Das ist ein Versagen der überregionalen Raumplanung", kritisiert Schachinger.

Bei der Raumplanung in Österreich hakt es. Die Materie ist komplex, die Kompetenzen zersplittert zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Der Bund ist etwa für Forst- und Wasserrecht zuständig, die Länder für die Raum- und Bauordnung. Die Gemeinden dürfen die Flächen aber letztendlich umwidmen. Bürgermeister entscheiden, ob ein Gewerbepark errichtet wird oder nicht. "Die Praxis zeigt: Wenn Länder Spielraum lassen, wird er ausgereizt", sagt WWF-Programmleiterin Hanna Simons. Sie kritisiert die Kommunalsteuer, die von den Gemeinden eingehoben wird. Denn das führe zu einem Wettbewerb zwischen den Gemeinden. Sie buhlen um Betriebe, die sich auf dem Gemeindegebiet ansiedeln und schließlich Geld in die Gemeindekasse spülen.

Simons nimmt die Politik in die Pflicht. "Es gibt zwar Ziele, den Bodenverbrauch einzudämmen, aber keine rechtlich bindenden Vorgaben." Zwar wurden in einigen Bundesländern Reformen umgesetzt, diese hätten aber zu keiner signifikanten Reduktion des Bodenverbrauchs geführt, sagt Simons.

Um dem Flächenverbrauch endlich Herr zu werden, fordert der WWF deshalb einen Bodenschutz-Vertrag für Österreich, in dem Bund, Länder und Gemeinden verbindliche und wirksame Maßnahmen gegen den Flächenverbrauch vereinbaren. Als Zielpfad fordert die Umweltschutzorganisation bis 2030 maximal 1 Hektar Flächenverbrauch pro Tag.

Felder verschwinden unter Beton: Ein Einkaufszentrum im Burgenland.
© WWF, Christoph Wisser

Um die Biodiversität und das Naturerbe zu schützen, fordert die Umweltschutzorganisation einen eigenen Fonds, der mit einer Milliarde Euro dotiert sein soll. Mit dem Geld sollen Flächen langfristig geschützt und verbaute Flächen renaturiert werden. "Viele Lebensräume haben sich über sehr lange Zeiträume entwickelt. Es ist schwierig, das wieder herzustellen", sagt Simons.

Wird dennoch neu gebaut, soll flächensparendes Bauen nach Ansicht des WWF künftig gefördert werden. Als positives Beispiel wird Bayern genannt. Dort wurde bereits vor mehr als 40 Jahren der sogenannte Alpenplan eingeführt. Er weist Siedlungsgrenzen aus, in denen gebaut werden darf. 43 Prozent des bayerischen Alpenraums gelten zum Beispiel als Ruhezone, in der die Errichtung von Skipisten, Seilbahnen und öffentlichen Straßen grundsätzlich verboten ist. In 22 Prozent sind Erschließungen nur unter strengen Auflagen und erst nach einer Einzelfallprüfung der Verträglichkeit erlaubt.

Ob es hierzulande künftig auch strengere Auflagen bei der Verbauung geben wird, steht noch nicht fest. Zwar widmet das türkis-grüne Regierungsprogramm dem Thema Flächenverbrauch einen eigenen Abschnitt. Ziele sind eine österreichische Bodenschutzstrategie und ein sparsamerer Umgang mit Fläche. Doch aus dem Klimaschutzministerium ist wenig zu den konkreten Plänen zu erfahren.

Regierung arbeitet an Strategie

Aktuell arbeite man daran, Leitlinien für ein strategisches Flächenmanagement zu erstellen, heißt es. "Ziel ist es dabei, wirksame Konzepte und Maßnahmen mit Wirkung auf die Raumordnung und die örtliche Raumplanung zu entwickeln", teilt das Ministerium mit. Einen neuen Zielpfad hat sich die Regierung nicht wirklich gesetzt. Das lange verfehlte Nachhaltigkeitsziel von 2002, maximal 2,5 Hektar pro Tag, soll nun bis 2030 Wirklichkeit werden.

Mittelfristig soll zusätzliche Bodenversiegelung durch Entsiegelung kompensiert werden, heißt es weiter im Regierungsprogramm. Ob und wie viel Fläche 2020 und 2019 in Österreich entsiegelt wurde, kann man im Klimaschutzministerium allerdings nicht beantworten. Dazu liegen aktuell keine Daten vor, heißt es.

Der Spaß auf der Piste braucht Platz: Für ein Skigebiet wird in Zürs in Vorarlberg Erdreich abgetragen.
© WWF, Christian Lendl

Daneben soll es laut Regierungsprogramm auch eine Erhebung zu leer stehenden Flächen geben. Raumplaner fordern schon lange, diese Flächen zu nutzen, statt neu zu bauen. Eine Schätzung des Umweltbundesamtes geht von rund 40.000 Hektar aus. Der WWF will geeignete Förderprogramme, um diese Flächen wieder zur Verfügung stellen.

Fest steht: Der Druck auf die Flächen in Österreich wird zunehmen - auch durch den Ausbau der erneuerbaren Energien bis 2030. Der Großteil soll durch Photovoltaik-Anlagen und Windräder gestemmt werden. Doch ohne zusätzliche Wasserkraft wird es nicht gehen. 70 Prozent der Wasserkraft gelten als ausgebaut. "Die Grenzen der Naturverträglichkeit sind gesprengt", sagt Biodiversitätsexperte Kohler. Er fordert einen sorgfältigen Umgang mit den Flächen.

Um diesen werden wir ohnehin nicht herumkommen. Denn die Fläche, die Österreich zur Verfügung steht, ist begrenzt. Die Alpen dominieren die heimische Topografie. 37 Prozent der Landesfläche sind laut Umweltbundesamt als Dauersiedlungsraum ausgewiesen. Davon ist ein Fünftel bereits verbaut.