Ein Expertenbericht erteilt Cannabis-Blüten als Medizin eine Absage - und deckt sich so mit der Grundposition der Bundesregierung. Im Vergleich zur internationalen Entwicklung bleibt Österreich damit zurück.
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Wien. Eingebracht hatte den Entschließungsantrag Peter Kolba, ehemaliger Abgeordneter der Liste Pilz (Jetzt) und selbst Schmerzpatient, nun liegt der darin angeforderte Bericht über den therapeutischen Einsatz von Hanf in der Medizin vor. Darin enthalten sind Stellungnahmen des Obersten Sanitätsrates, also Ärztekammer, Apothekerkammer und Hauptverband der Sozialversichungsträger, der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) und führender Schmerzmediziner. Und der Bericht fällt wenig überraschend aus: Alles in allem erteilen die involvierten Experten und Institutionen einer Liberalisierung im Bereich Cannabismedizin eine deutliche Absage.
Die Frontstellung bleibt damit die alte: Es gibt bereits Cannabis-Medikamente auf Krankenschein, Hanfblüten in der Apotheke braucht es daher nicht, sagen die Vertreter der klassischen Schmerzmedizin. Zudem sei die Wirksamkeit der Blüten wissenschaftlich nicht erwiesen. Die schon erhältlichen magistralen Rezepturen und Präparate seien überteuert, zudem würde natürliches Cannabis vielfach besser wirken, sagen die Liberalisierungs-Befürworter. Sie befürchten ein Einzementieren der aus ihrer Sicht dringend reformbedürftigen Situation in Österreich - speziell unter der amtierenden ÖVP-FPÖ-Regierung.
Folgen jahrzehntelanger Stigmatisierung
Martin Pinsger, der als Orthopäde im Schmerzkompetenzzentrum Bad Vöslau selbst chronische Schmerzpatienten mit Cannabis-Präparaten therapiert, sieht es nicht ganz so dramatisch. Er begreift die immer intensivere Debatte in Österreich als Chance. "Es ist einiges in Bewegung gekommen", sagt der Mediziner.
Als behandelnder Spezialist versteht Pinsger den Druck, der von Patienten- wie auch von Therapeutenseite auf die Politik aufgebaut wird. Man dürfe aber nicht erwarten, dass "eine seit 1937 bestehende Illegalisierung nun nach all den Jahrzehnten einfach so einem liberaleren Zugang weicht".
Er und seine Kollegen seien nun die erste Generation, die nach der langen Phase der Tabuisierung und Stigmatisierung von Cannabis wieder damit praktiziere. Sie setzen auf "Evolution statt Revolution". Man müsse der Politik klarmachen, dass hier gesetzgeberisch ein anachronistischer Weg eingeschlagen würde: "Ein Land wie Kanada, mit einem mit uns vergleichbaren, hohen medizinischen Standard, hat Hanf für medizinische Zwecke ebenfalls freigegeben. Man muss immer wieder fragen: Wieso machen wir das nicht?"
Drei Prozent Missbrauch dominieren den Diskurs
In der Tat steht Österreich mit seiner restriktiven Politik in Sachen Cannabismedizin international gesehen schon jetzt im Abseits. Seit kurzem sind Cannabisblüten auch in Großbritannien zu medizinischen Zwecken legal, vergangenes Jahr rückte Deutschland nach, europaweit haben bereits 20 Länder ihre Regelungen liberalisiert. Wieso also geht Österreich hier in eine ganz andere Richtung?
Ein Hauptproblem, sagt Pinsger, sei der gravierende Informationsmangel über Cannabis - vor allem unter Medizinern. "Es gibt kein einziges Ausbildungsseminar für Ärzte zu Cannabismedizin, auch im Studium gibt es dazu keine Ausbildung. Wer kümmert sich um die Fortbildung in dem Bereich?"
Tatsächlich sind Ärzte, die sich für Cannabismedizin interessieren, auf Eigeninitiativen anderer Mediziner abgewiesen. Mit rund 100 chronischen Schmerzpatienten und einigen anderen Kollegen hat sich Pinsger zur Plattform cannabinoide.at zusammengeschlossen. Lehrgänge mit Experten werden angeboten, die Finanzierung aber sei denkbar schwierig, Geld aus dem Pharma-Bereich sei mehr als knapp.
Wie auch andere Schmerzmediziner, die mit Cannabis arbeiten, beklagt der Orthopäde, dass jene rund drei Prozent "heavy user", die Cannabis missbräuchlich verwenden, oftmals den gesamten Diskurs dominieren. "Mit jenen, die Cannabis missbrauchen, habe ich als Schmerztherapeut aber nichts zu tun."
Therapie mit Cannabisblüten ist aufwendiger
Dass es an Informationen für die Ärzte fehlt, sehen offenbar auch die Autoren und Experten des nun vorliegenden Berichts ein. Was konkret passieren soll, lassen aber auch sie offen: "Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen sind in diesem Bereich jedenfalls zu begrüßen", heißt es im Bericht dazu knapp.
Dass in Deutschland nun Cannabisblüten auf Rezept erhältlich sind, ist laut dem Bericht dem Umstand geschuldet, dass man Selbstanbau zu Hause hintanhalten wolle. Tatsächlich aber liegt der neuen deutschen Regelung ein höchstrichterliches Urteil zugrunde. Genau das aber sei in Österreich bereits der Fall, sind sich zahlreiche Cannabismediziner einig. Patienten, denen natürlicher Hanf hilft, müssen sich diesen nun weiter illegal, auf der Straße oder über das Internet besorgen - oder zu Hause selbst Cannabis anbauen, was ebenso verboten ist. Martin Pinsger sieht noch einen weiteren Grund, wieso Schmerzmediziner weiter auf Präparate auf Cannabisbasis zurückgreifen: "Eine Therapie mit Cannabisblüten erfordert mehr Aufwand, als einfach Präparate zu verschreiben."