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Österreich blüht - und vergisst die Welt

Von Andreas Unterberger

Analysen

Ruhige Binnen-Bilanz. | Der unbemerkte Verlust der Autonomie. | China statt ÖGB/WKO. | Ziemlich beruhigend, wie Österreich zum Jahreswechsel dasteht: Es gibt keine äußeren Konflikte; die Wirtschaft wächst wie schon lange nicht; die Arbeitslosigkeit schrumpft, sodass es für viele Tätigkeiten längst Arbeitskräftemangel gibt; die Untergriffe des Wahlkampfs werden langsam vergessen; und wenn es "Notstände" gibt, dann sind die mehr von Medien und Parteien herbeigeredet als real, wie etwa im Pflegebereich, wo es in Wahrheit nur ein Legalitätsproblem gibt; die Pflege der alten oder behinderten Menschen an sich erfolgt aber durch die billigen Pfleger aus den (noch) armen Ländern des einstigen Realsozialismus heute meist besser als einst in den großen Sälen liebloser Gemeinde-Pflegeheime.


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Sorge macht aber, dass die Österreicher noch nicht ganz begreifen, dass sie ihre Autonomie verloren haben, dass nationale Autonomie heute nur noch in Nordkorea versucht wird. Hätten sie die Abhängigkeit ihres Wohlstands von der globalen Arbeitsteilung begriffen, fänden Illusionisten wie "Attac" keinerlei Echo.

Fanal dieses Autonomieverlustes war die 2006 explodierte Krise des Gewerkschaftsbundes. Deren Ursache waren nicht bloss Fehlspekulationen, sondern die Tatsache, dass das Jahrhundert der Gewerkschaftsidee zu Ende ist. Nur weiß das der ÖGB noch nicht. Er hat wirklich geglaubt, mit einer eigenen Bank ließen sich all die Zusammenhänge der weltweiten Wirtschaft wegjonglieren.

Nichts von den Regeln, die die Sozialpartner aufstellen, ist noch relevant. Wenn sie die Löhne hoch treiben, wird halt nicht in Österreich, sondern im Ausland produziert; wenn die Geschäfte am Sonntag geschlossen haben, wird halt im Ausland eingekauft. Ein Prozess ist zum Abschluss gekommen, der einst mit Bruno Kreiskys Sager begonnen hatte: Weil ihm Kärnten zu teuer sei, mache er in Mallorca Urlaub.

Aber in den Köpfen vieler Politiker ist dieser historische Prozess noch nicht angekommen: Sie sehen in den Sozialpartnern noch eine Problemlösungskapazität und nicht einen Teil des Problems. Längst entscheidet die internationale Konkurrenz, welche Steuerquote und welchen Wohlfahrtsluxus sich Österreich noch leisten kann. Nicht mehr die Politik, sondern die Geburtenrate und die Lebenserwartung legen fest, bis zu welchem Alter wir arbeiten müssen - soll das Pensionssystem finanzierbar bleiben.

Erkenntnis-Verweigerung dominiert aber auch den außenpolitischen Blick Österreichs. Dieser reduziert sich meist auf Genugtuung darüber, dass die Weltpolizistenrolle der USA 2006 endgültig gescheitert ist. Aber kaum jemand begreift, dass ohne irgendeine Polizei wieder das Faustrecht die Oberhand bekommen wird.

Bürger wie Medien wie Politik ignorieren weitgehend, dass der Krieg der Kulturen längst in Gang ist. Vom Sudan bis Somalia, von Palästina bis zu den diversen mittelasiatischen Republiken. In Iran beschaffen sich religiöse Fanatiker gerade Atomwaffen und versuchen, sich durch Zehntausende Selbstmordterroristen zur Weltmacht bomben zu lassen. Und die Welt ist dagegen ebenso hilflos wie gegen die atomare Aufrüstung des letzten kommunistischen Fossils in Nordkorea.

Daneben haben China, Indien und mehrere andere Staaten Südostasiens nach Abstreifen der kommunistischen beziehungsweise sozialistischen Fesseln einen atemberaubenden Wettlauf um eine internationale Führungsposition angetreten, der sich vorerst zum Glück nur wirtschaftlich bemerkbar macht. Lediglich Lateinamerika lähmt sich durch einen Rückfall in sozialistische Verhaltensweisen selbst bei der Entwicklung.

Was das alles für Österreich heißt? Gewiss nicht, dass es ein Rezept für alle Probleme haben müsste. Es wäre schon viel getan, würde Österreich erkennen, dass es heute keine (selige wie unselige) Insellage mehr gibt. Dass uns das alles etwas angeht. Dass auch sicherheitspolitisch der Traum von der Autonomie infantil ist. Dass Europa, wenn überhaupt, nur durch ein starkes gemeinsames Auftreten Chancen hätte, seine Identität zu retten. Dass jeder nationale Alleingang die Gefahr vergrößert, dass Europa als winziger Appendix Asiens von der Geschichte überspült wird. Ökonomisch, ethnisch, machtpolitisch.

Ziemlich beunruhigend, wie Österreich in dieser Welt steht.