Zum Hauptinhalt springen

Österreich, die Steueroase?

Von Edith Kitzmantel und Kurt Bayer

Gastkommentare

Österreich blockiert Informationsaustausch in der EU.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wien. Österreich wird zwar heute in keiner der gängigen Listen als Steueroase geführt, liegt aber im "Financial Secrecy Index" des Tax Justice Network auch 2011 noch an 17. Stelle von 73 untersuchten Ländern. Die Liste wird angeführt von der Schweiz, den Kaimaninseln, Luxemburg, Hongkong und den USA.

Hauptgrund für Österreichs prominenten Platz ist das Bankgeheimnis, das Banken unter Strafe verbietet, die Identität ihrer Kunden preiszugeben. Die Ausnahmen sind streng geregelt. Zwar dürfen seit 2011 Auskünfte auch außerhalb von Finanzstrafverfahren erteilt werden, doch müssen noch immer konkrete Hinweise auf ein Steuerdelikt vorliegen.

Die 2005 in Kraft getretene EU-Zinsrichtlinie sieht für alle Mitgliedstaaten automatischen Informationsaustausch (AIA) über die Identität ausländischer Bezieher von Zinseinkünften vor. Seit 2010 machen nur noch Österreich und Luxemburg von einer Übergangsfrist Gebrauch, während derer sie am AIA nicht teilnehmen, sondern stattdessen eine heute 35-prozentige Quellensteuer einheben (75 Prozent des Betrages wird an das jeweilige Wohnsitzland überwiesen, die restlichen 25 Prozent verbleiben in Österreich beziehungsweise Luxemburg). Die Identität der Kontoinhaber sowie die Höhe der einzelnen Einlagen wird dabei nicht preisgegeben.

Diese Übergangsfrist endet, sobald auf EU-Ebene Informationsabkommen (in der milderen Form einer Auskunftserteilung auf Anfrage) mit fünf europäischen Drittstaaten (Schweiz, Liechtenstein, Monaco, San Marino und Andorra) sowie mit den USA geschlossen werden konnten.

Österreich blockiert Gespräche der Kommission

Bereits seit 2008 versucht die EU-Kommission, verbliebene Gesetzeslücken zu schließen und bisher nicht erfasste Kapitalerträge und Institutionen einzubeziehen. Vor allem Fonds, Trusts, Privatinstitutionen, Scheinversicherungen und GesmbHs in Delaware bieten noch immer leichte Ausweichmöglichkeiten. Gleichzeitig versucht die Kommission, alle Mitgliedstaaten und jedenfalls die genannten Drittstaaten in den wesentlich umfassenderen AIA einzubeziehen.

Österreich und Luxemburg haben im November 2011 die Erteilung eines Mandats an die Kommission, entsprechende Verhandlungen mit Drittstaaten aufzunehmen, neuerlich blockiert. Dies ist deshalb möglich, weil die Steuerpolitik einer der wenigen Bereiche ist, in denen in der EU nach wie vor das Einstimmigkeitsprinzip herrscht.

Österreich hat seither bilateral mit der Schweiz und Liechtenstein großzügige Steuer-Amnestieabkommen abgeschlossen. Mit einer einmaligen Pauschalzahlung von 15 Prozent gelten Steuerschulden für die Vergangenheit als abgegolten. In Zukunft ist auf diese Konten eine Quellensteuer mit dem jeweils in Österreich gültigen KESt-Satz zu leisten, ohne dass der Kontoinhaber identifiziert werden muss. Damit bleibt das Bankgeheimnis auch für österreichische Steuerflüchtlinge in der Schweiz weiter aufrecht.

Die Schweiz bietet ein lukratives Abkommen an

Die Schweiz bietet dieses "Rubik"-Abkommen derzeit allen Ländern an und hat es etwa mit Großbritannien abgeschlossen. In Deutschland hingegen wurde es im Bundesrat von den SPD-regierten Bundesländern zu Fall gebracht. Österreich erwartet sich vom Schweizer Abkommen 2013 eine einmalige "Abgeltungssteuer" von rund einer Milliarde Euro und ab 2014 laufende KESt-Erträge von etwa 50 Millionen. Aus Liechtenstein wird ab 2014 eine einmalige "Abgeltungssteuer" von laut Finanzministerin Maria Fekter mehreren hundert Millionen Euro erwartet. Durch diese bilateralen Separatabkommen torpediert Österreich aber die Erfüllung der von ihm selbst gestellten Bedingung für das Auslaufen seiner Übergangsfrist - ein besonders schlauer Schachzug, der innerhalb der EU nicht gerade zu seiner Popularität beiträgt.

Laut Tax Justice Network und bestätigt von der Weltbank wird etwa die Hälfte des Welthandels über Steueroasen abgewickelt. Reiche Privatpersonen haben geschätzte 11,5 Billionen US-Dollar in Steueroasen angelegt - zum Vergleich: Das Welt-BIP beträgt etwa 70 Billionen Dollar. Sie sparen damit jährlich 250 Milliarden Dollar Steuern, das Fünffache dessen, was 2002 zur Erreichung des Millennium-Entwicklungsziels für notwendig erachtet wurde. Wie viel Vermögen Unternehmungen in Steueroasen angelegt haben, ist unbekannt. Beliebteste Unternehmensoase der Welt ist wohl Delaware - wegen der großzügigen Regelungen bei Firmengründung und Kontoeröffnungen.

Steueroasen belastenden Mittelstand

Steueroasen entziehen den anderen Staaten hohe Budgeteinnahmen. Gleichzeitig verstärken sie die Tendenz, die Steuerlast primär auf wirtschaftliche Vorgänge und gesellschaftliche Gruppen zu verschieben, die geografisch stärker gebunden sind. Diese Art von Steuerwettbewerb erklärt das wachsende Gewicht indirekter Steuern wie der Mehrwertsteuer und die überproportionale Belastung der Mittelklasse, die es sich nicht leisten kann, in Steueroasen auszuweichen. Die kürzlich von OECD und G20 neu aufgegriffene Debatte des internationalen "profit shifting", also die Verlagerung des steuerbaren Gewinns durch multinationale Firmen in Steueroasen, weist in dieselbe Richtung.

Entwicklungsländer haben besonders große Probleme, ihre Budgets zu finanzieren, da viele Reiche und viele Unternehmen nicht im Land selbst Steuern zahlen, sondern - wenn überhaupt - in Steueroasen. Viele überleben nur dank Budgethilfen von multilateralen Entwicklungsbanken und bilateralen Zuschüssen. Daher haben Entwicklungsländer ein besonders großes Interesse an einer angemessenen Besteuerung im eigenen Land. International akzeptiertes Prinzip sollte sein, dass Besteuerung dort erfolgt, wo die wirtschaftliche Aktivität stattfindet beziehungsweise wo der Einkommensempfänger residiert.

Steueroasen unterlaufen nicht nur dieses Besteuerungsprinzip durch eine "beggar-thy-neigh-
bour"-Politik, sondern ermöglichen oft auch "regulatorische Arbitrage", also das Ausweichen in kaum regulierte Länder. Damit ermutigen sie gleichzeitig Geldwäsche und tragen zur Instabilität des internationalen Finanzsystems bei (Hedgefonds sind zum Beispiel überwiegend in Steueroasen angesiedelt).

Rein konzeptuell ist die Blockade durch Österreich innerhalb der EU nicht argumentierbar, da es von den 25 EU-Ländern, die AIA bereits praktizieren, schon jetzt die Informationen über Auslandskonten österreichischer Bürger erhält. Inlandskonten österreichischer Bürger hingegen könnten auch bei Teilnahme Österreichs an AIA weiterhin durch das Bankgeheimnis geschützt werden.

Die USA benutzen den vor kurzem verschärften US Foreign Account Tax Compliance Act (Fatca), um nach einem Partnerabkommen mit den fünf großen EU-Ländern seine Steuerflüchtlinge auch in den anderen Ländern wirksamer zur Kasse zu bitten. Dies scheint zu klappen. Ein Abkommen mit der Schweiz ist bereits unterzeichnet. Verhandlungen mit Luxemburg sind im Gang, auch Österreich und seine Banken können sich den anstehenden Verhandlungen nicht entziehen. EU-Steuerkommissar Algirdas Semeta hat Österreich für den Fall, dass es weiter auf der Übergangsregelung besteht, eine Klage vor dem EuGH angedroht.

Transparency International Austrian Section fordert, dass sich Österreich am AIA innerhalb der EU beteiligt und seine Blockade entsprechender Gemeinschaftsabkommen mit Drittstaaten aufgibt. Auch erachtet es Transparency als mit dem Selbstverständnis eines Rechtsstaates unvereinbar, durch Festhalten am Bankgeheimnis im Inland das Durchbrechen des österreichischen Steuerrechts zu fördern und zu schützen. Die Argumentation, dass Österreich durch das Festhalten am Bankgeheimnis für Ausländer und Inländer seinen Finanzmarkt stärkt, ist daher schon von einem grundsätzlichen rechtsstaatlichen Aspekt her nicht vertretbar.

Doch auch ökonomisch hat sich das Argument zumindest überlebt. Die Anziehung von ausländischem Kapital durch Bankgeheimnis und spezielle steuerliche Begünstigungen hat in einem so integrierten Kapitalmarkt wie der Eurozone nicht mehr die Rolle der Kompensation von Beschränkungen oder eines strukturell ungenügenden Kapitalaufkommens. Das in Österreich selbst verfügbare Kapital stellt spätestens seit dem EU-Beitritt keine ökonomisch relevante Investitionsbeschränkung mehr dar.

Das Bankgeheimnisbelohnt Steuerbetrug

Das Bankgeheimnis belohnt auch in seiner heutigen Form weiter Steuerbetrug und schwächt die internationalen Bemühungen um eine gleichmäßige Besteuerung von Kapitalerträgen. Hauptsächliche Nutznießer sind seit langem nicht mehr die österreichischen Sparer, sondern ausländische Großanleger, die vor ihren eigenen Steuerbehörden flüchten oder Geld waschen wollen. Mit der wachsenden Zahl bilateraler Verträge wird das bestehende System der Auskunftspflicht auf Anfrage auch zunehmend ein administratives Monster.

Österreich muss endlich aus seiner Rolle als steuerlicher Trittbrettfahrer herausfinden. Dann erst kann es mit gutem Recht den Steuerwettbewerb nach unten kritisieren und seinem Anliegen, die Bemessungsgrundlage und eventuell auch die Steuersätze der Körperschaftssteuer zu vereinheitlichen, besser Nachdruck verleihen.

Zu den Personen



KurtBayer

ist Ökonom und war Board Director in Weltbank (Washington, D.C.) und EBRD (London) sowie Gruppenleiter im Finanzministerium. Er ist Mitglied der Arbeitsgruppe Finanzmarkt und Wirtschaftspolitik bei Transparency International -Austrian Chapter und bloggt unter kurtbayer.wordpress.com.



EdithKitzmantel

ist Ökonomin und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats von Transparency International Österreich sowie des Staatsschuldenausschusses. Sie war 17 Jahre lang im Finanzministerium tätig und von 1995 bis 2004 bei der EU-Kommission in Brüssel in verschiedenen operativen Funktionen. Fotos:privat/Europa2020