Es fehlen einheitliche EU-Mindeststandards für die Einbürgerung. | Rainer Bauböck ist Experte für Integration und Staatsbürgerschaft. | Wien. Rainer Bauböck hat einen Lehrstuhl am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz und ist einer der beiden Vorsitzenden des European Union Democracy Observatory (EUDO) on Citizenship. Die "Wiener Zeitung" sprach mit Bauböck anlässlich seiner Teilnahme an der dieses Wochenende stattfindenden Konferenz "Migrations: Interdisciplinary Perspectives" an der Universität Wien.
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"Wiener Zeitung": Das Staatsbürgerschaftsrecht wurde in vielen EU-Staaten zuletzt immer wieder verändert. Wohin geht der Trend? Rainer Bauböck: Es gab in den neunziger Jahren die These, dass der Trend in Richtung Liberalisierung geht. Das stimmt heute in gewisser Weise für die zunehmende Toleranz von Doppelstaatsbürgerschaften. Etwas schwächer ist der Trend, bei Geburt auf dem Territorium die Staatsbürgerschaft zu gewähren, das sogenannte Jus soli, dieses wird heute oft an Bedingungen geknüpft. Bei Einbürgerungen kommt es dagegen in vielen Staaten zu immer neuen Hürden, wie etwa verschärften Einbürgerungstests.
Nimmt Österreich im EU-Vergleich eine liberale oder eine eher restriktive Haltung ein?
Wir, also das EUDO on Citizenship, haben bewusst kein allgemeines Ranking gemacht. Zu Österreich kann man sagen, dass es bei fast allen Faktoren zu den eher restriktiven Staaten zählt. Das betrifft sowohl den Zugang zur Staatsbürgerschaft durch Geburt, hier gibt es ein sehr schwaches Jus soli, als auch die Einbürgerungsverfahren, für die es im EU-Vergleich sehr hohe Hürden gibt. Und Österreich hat auch mit die höchsten Gebühren, wenn es dann zu einer Einbürgerung kommt, die deutlich über 1000 Euro liegen.
Einbürgerungstests sind in einigen anderen Staaten schwieriger als in Österreich, aber der Weg dorthin führt über viele Stufen. Das Verfahren ist insgesamt also sehr selektiv. Andererseits ist Österreich einer der expansivsten Staaten, was die Möglichkeit betrifft, Österreicher im Ausland zu sein. Die Staatsbürgerschaft kann unbeschränkt über Generationen weitervererbt werden.
Inwiefern ist der Diskurs um die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts von der Migrationsdebatte beeinflusst?
In den meisten alten Mitgliedstaaten, also den EU-15, ist der Kern der Debatte die Frage der Integration von Einwanderern. Die Einbürgerung wird entweder als ein Mittel zur Integration gesehen - oder als Belohnung, also der Endpunkt der Integration. In den neuen Mitgliedstaaten gibt es solche Debatten kaum. Hier versucht man über das Staatsbürgerschaftsrecht eher die Bindung zu Auswanderern und ihren Nachkommen zu erhalten oder aber es geht um verwandte ethnische Minderheiten in Nachbarstaaten.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Ungarn hat kürzlich den ungarischen Minderheiten in den Nachbarländern das Recht auf Doppelstaatsbürgerschaft eingeräumt. Die Slowakei hat dann zeitgleich beschlossen, dass, wer freiwillig eine fremde Staatsbürgerschaft annimmt, die slowakische verliert.
Welche Rolle spielt die Staatsbürgerschaft bei der Integration?
Der Zugang zur Staatsbürgerschaft ist für die Integration sehr wichtig, weil daran die stärksten politischen Wahlrechte geknüpft sind. Wenn Einwanderer von Wahlen ausgeschlossen sind, werden sie politisch auch nicht vertreten. In einigen Staaten ist es so, dass die Einbürgerung auch eine Anerkennung ist, eine symbolische Aufnahme in der Gemeinschaft, selbst wenn diese nicht mit massiven rechtlichen Verbesserungen einhergeht.
Und dann gibt es das Phänomen, wie etwa in Deutschland, dass, obwohl die Einbürgerung erleichtert wurde, nicht mehr Menschen davon Gebrauch machen. Dort weiß beispielsweise die große Gruppe der lang ansässigen Türken, dass sie durch eine Einbürgerung nicht wesentlich mehr Rechte bekommt. Sie will ihre türkische Staatsbürgerschaft nicht zurückgeben und sie spürt, dass sie auch mit einem deutschen Pass nicht als Deutsche akzeptiert würden.
Und was bedeutet das für Europa?
Insgesamt meine ich, dass es eine europaweite Aufgabe ist, hier Mindeststandards einzuführen. Jeder, der über die Staatsbürgerschaft eines Mitgliedsstaats verfügt, genießt in der EU Freizügigkeit. Der Pferdefuß ist, dass die Kommission hier keine Harmonisierung vornehmen kann.
Wie sollte eine solche Harmonisierung aussehen?
Ich schlage als Grundnorm ein Stakeholder-Prinzip vor. Demnach hätten all jene und nur jene Personen einen Anspruch auf die Staatsbürgerschaft, deren Lebensumstände ihre individuellen Interessen mit jenen des Gemeinwohls und der Zukunft des Staates verknüpfen.
Bei welchen Personen wäre das zum Beispiel der Fall?
Wenn jemand in einem Land fünf Jahre einen rechtmäßigen Aufenthalt hat, dann kann man von ihm annehmen, dass seine individuellen Interessen mit dem Gemeinwohl verbunden sind. Das Gleiche gilt auch für die erste Generation der Auswanderer, die das Recht haben sollten, ihre Staatsbürgerschaft beizubehalten oder freiwillig zurückzulegen, wenn sie eine andere erwerben. Insgesamt wären EU-weite Mindeststandards wünschenswert, auch wenn sie derzeit keine Rechtsgrundlage in den Verträgen haben und politisch nicht durchsetzbar sind.
Wie sollten diese EU-weiten Mindeststandards aussehen?
Eine Einbürgerung sollte nach fünf Jahren Aufenthalt möglich sein. Die Geburt und das Aufwachsen im Land sollten einen Anspruch auf Staatsbürgerschaft bringen, etwa verknüpft mit der Auflage, dass sich ein Elternteil bereits einige Jahre in dem Land aufgehalten hat. Oder aber das Kind sollte bei fünf Jahren Aufenthalt nach der Geburt die Staatsbürgerschaft erhalten.