An der Mindestsicherung verdichtet sich eine ganze Politik.
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Die Botschaft des Europäischen Gerichtshofs war eindeutig: Die oberösterreichische Regelung zur Mindestsicherung - also deren Kürzung für befristete Asylberechtigte - ist rechtswidrig. Denn der Asylstatus rechtfertige keine Differenz. EU Recht stellt Asylberechtigte und Staatsangehörige in Sachen Mindestsicherung gleich.
Und genau das ist der Punkt: die mangelnde Differenz. Diese Gleichstellung ist es, die manche Leute als Skandal empfinden. Warum eigentlich? Was stört sie daran?
Natürlich geht es da um Neid und um Fremdenfeindlichkeit. Was die Sache aber komplizierter macht, ist, dass es auch Gründe jenseits solcher niedrigen Instinkte gibt. Leute erleben den Sozialstaat - im besten Fall - als Tausch: Sie haben eingezahlt ins System - und erhalten dafür im Notfall, in existenziellen Krisen eine Unterstützung, die eben deshalb eine Gegenleistung ist. Wenn nun Flüchtlinge, die niemals etwas eingezahlt haben, diese selbe Leistung auch bekommen, empfinden sie das als Kränkung. Denn damit wird ihre Anerkennung als Beitragende gestrichen. Die Mindestsicherung wird für sie herabgewürdigt: aus einer Gegenleistung zu einem Almosen. So entsteht Fremdenfeindlichkeit aus einem gekränkten Gerechtigkeitsempfinden - eine paradoxe Mischung. Die Frage ist, wie die Politik mit solchen Emotionen umgeht.
Geht sie aufklärerisch damit um? Dazu muss sie gar nicht moralisch mit Menschlichkeit argumentieren. Sie kann den Leuten erklären, dass Mindestsicherung ein soziales Netz für alle ist. Sie kann auch pragmatisch argumentieren - etwa mit der Frage: Was sollen Asylwerber, die vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind, sonst machen? Sollen sie in die Kriminalität getrieben werden? Dann hätten wir ein ganz anderes Problem. Die Politik kann aber auch ganz anders reagieren. Sie kann sich genau auf diese Emotionen draufsetzen - und gerade darüber die Xenophobie befördern. An diesem Thema lässt sich eine ganze Politik verdichten. Sie kann bei der Mindestsicherung billig - im doppelten Sinne des Wortes - jene Symbolpolitik einlösen, mit der sie immer schon getrommelt hat. Sie kann hier ihr Versprechen, Österreich zuerst, klirrend in Szene setzen. Und sie kann darüber hinaus auch ihr Prinzip des Durchregierens - wie etwa die Dialogverweigerung mit der Opposition oder mit den Sozialpartnern - auch noch auf EU-Ebene ausdehnen.
Wenn das Prinzip der EU darin besteht, nationalstaatliche Souveränität abzugeben - wie Merkel dieser Tage gesagt hat -, dann ist das, was derzeit in Österreich gemacht wird, klare Anti-EU Politik. Eine Botschaft, die nun als Bumerang zurückgekommen ist. Dazu passt auch, dass der stellvertretende Landeshauptmann Haimbuchner darin eine "Sozialdemokratisierung der EU" sieht. Wörtlich genommen eine Absurdität (was ist an der EU sozialdemokratisch?) - nicht jedoch als Code für Gegner.
Nach dem Scheitern des oberösterreichischen Modells sieht nun die bundesweite Reform vor, die volle Mindestsicherung an Pflichtschulabschluss und Deutschkenntnisse
zu koppeln. So soll doch noch ein österreichisches Kriterium für Differenz, für Unterscheidung gegen die Brüsseler Gleichstellung ins Treffen geführt werden.