Mit keinen gravierenden Problemen durch das französische Nein zur EU-Verfassung für Österreichs Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2006 rechnet der Inhaber des Jean-Monnet-Lehrstuhls für Europäische Integration an der Universität Innsbruck und ehemalige ÖVP-Politiker, Heinrich Neisser.
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"Wiener Zeitung": Kann das französische Nein zu einem Problem für Österreichs EU-Ratspräsidentschaft im kommenden Jahr werden? Heinrich Neisser: Das glaube ich nicht. Ich rechne mit einer strategischen Entscheidung in den nächsten sechs Monaten, wie es in der Frage der EU-Verfassung weiter geht.
Hat sich Österreich im Rückblick für die klügere Form der Ratifizierung durch das Parlament entschieden?
Für die risikolosere Variante auf alle Fälle. Ob diese zugleich auch die klügere war, weiß ich ehrlich gesagt nicht. Ich selbst hätte jedenfalls auch in Österreich eine Volksabstimmung bevorzugt - allein schon, um die Bürger zu provozieren, sich mit der Sache der Europäischen Verfassung inhaltlich auseinander zu setzen. Allerdings kann auch ich nicht sagen, wie in einem solchen Fall die Kampagne verlaufen wäre.
Sehen Sie jetzt eine Chance für eine EU-weite Volksabstimmung über die Verfassung?
Ein solches EU-weites Referendum halte ich nur für den Fall einer inhaltlichen Änderung der Verfassung für möglich. Für diesen Fall wäre dies allerdings durchaus ein Szenario. Eine erweiterte Regierungskonferenz der Mitgliedstaaten oder ein Konvent könnte sich mit dieser Frage neu befassen. Entscheidend wird jedoch sein, die Parlamente hier miteinzubeziehen.
Wie wird es also jetzt in Europa weitergehen?
Inhaltlich ist jetzt zuerst einmal Frankreich selbst gefordert: Das Nein ist Ausdruck einer tiefen inneren Spaltung, diese gilt es zu überwinden. Nicht vorstellen kann ich mir, dass einfach der Ratifizierungsprozess in den anderen Staaten weitergeht und am Ende einfach noch einmal über die unveränderte Verfassung in Frankreich abgestimmt wird. Das halte ich für den falschen Weg. Denn das Nein der Franzosen ist Ausdruck eines europäischen Misstrauens, das weit über das Ausmaß früherer Referenden etwa in Dänemark oder Irland hinausgeht.
Das Gespräch führte
Walter Hämmerle