Wien wird durch die Ukraine-Krise wieder zum Ziel für Geheimdienste. Eine effektive Abwehr fehlte bisher. Eine Analyse.
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Bereits in Friedenszeiten ist Österreich ein Hotspot für Spione. Durch den eskalierenden Russland-Ukraine-Konflikt wird das Land für Geheim- und Nachrichtendienste umso interessanter. Weniger im Fokus dürften dabei Österreichs Geheimnisse stehen. Versucht wurde in den vergangenen Jahren vor allem, über Österreich Informationen zu anderen Staaten und Institutionen zu erhalten.
Diese These wird von öffentlich bekannt gewordenen Beispielen gestützt. Ein Oberst des österreichischen Bundesheeres spionierte von 1992 bis Ende September 2018 für Russland. Er kassierte dafür 280.000 Euro. Nach Auffliegen der Affäre wurde er im Juni 2020 zu einer unbedingten Haftstrafe von drei Jahren verurteilt.
Im Rückblick wirkt diese Strafe milde. Im Verfassungsschutzbericht 2019 findet sich nämlich die Feststellung: "Der durch diese Spionage entstandene Schaden lässt sich wirtschaftlich nicht bemessen, jedoch hätten die erlangten Informationen im Falle eines militärischen Konflikts der Landesverteidigung Österreichs mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Nachteil gereicht." Laut Medienberichten dürfte der Oberst den Russen insbesondere hochsensible Informationen zur Nato gesteckt haben, über die Österreich offenbar verfügte.
Einfallstor für die Spionage von Institutionen war Österreich auch zu Jahresbeginn 2020. Ein Cyberangriff auf die IT-Systeme des Außenministeriums dauerte einen guten Monat an. Das Ziel des Angreifers war, über das Ministerium vertrauliche EU-Informationen abzusaugen. Russland wurde hinter vorgehaltener Hand als der Drahtzieher vermutet, am Dienstag sagte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), dass sich die Spurensuche nach dem Täter in der Russischen Föderation verlaufen habe.
Starke russische Präsenz in Wien
Der sich nun verschärfende Konflikt macht eine effektive Spionageabwehr für Österreich umso wichtiger. Zumal Russland in Wien aufgrund der dort ansässigen internationalen Organisationen und der geografischen Lage Österreichs eine starke Präsenz hat. Die russische Legalresidentur ist eine der größten weltweit, eine ganze Diplomatensiedlung beherbergt die Donaustadt.
So wie bei vielen anderen Staaten besteht der Verdacht, dass die diplomatische Basis auch für Spionagezwecke verwendet wird. Im August 2020 verwies Österreich einen russischen Diplomaten, der jahrelang Wirtschaftsspionage betrieben haben soll, des Landes. Moskau bestritt die Vorwürfe und wies seinerseits einen österreichischen Diplomaten aus.
Für die Spionageabwehr und Aufklärung hybrider Bedrohungen im Inland ist in Österreich die neu gegründete Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) zuständig. Sie ist eine der drei Dienste des Landes: Das Heeresnachrichtenamt übernimmt die Auslandsaufklärung. Das Heeresabwehramt dient dem Eigenschutz des Bundesheers vor Extremisten und Spionen. Ganz so klar ist die Kompetenzverteilung im Einzelfall oft nicht, das Verhältnis zwischen den Diensten war in der Vergangenheit auch oft von Rivalitäten geprägt.
"Die Engagierten waren spärlich gesät"
Doch ist das nicht das einzige Problem der DSN. Die im Dezember neu gegründete Behörde löste das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) ab. Diesem war es in den vergangenen Jahren nicht gelungen, die Grundvoraussetzung der nachrichtendienstlichen Branche zu erfüllen: Nicht in die Schlagzeilen zu gelangen.
Statt in diesem sensiblen Bereich Sorgfalt walten zu lassen, besetzte das ÖVP-geführte Innenministerium wichtige Posten im BVT nach Parteibuch. "Im alten BVT wurden Karrierespiele gespielt - und die, die wirklich Engagement gezeigt haben, waren spärlich gesät", sagt Siegfried Beer. Der Historiker hat intensiv zu Nachrichten- und Geheimdiensten geforscht und in Graz das "Austrian Center for Intelligence, Propaganda and Security Studies" gegründet.
Hinzu kamen Probleme bei der Struktur der Behörde und Ausbildung der Mitarbeiter. Ein eigener Inlands-Nachrichtendienst war das BVT nie. Die Behörde glich mehr einer aufgewerteten Polizeibehörde, der nachrichtendienstlich-analytische Arm war deutlich schwächer. Zwar waren im Innenministerium Polizisten und Juristen vorhanden. Akademisch ausgebildete Analysten aus diversen Fachrichtungen waren hingegen Mangelware.
"Ich habe in Österreich versucht, in Anlehnung an Entwicklungen in anderen Staaten, universitäre Kurse etwa als Master-Studiengang aufzubauen", sagt Beer. So gebe es in den USA und in England Studiengänge zu "Intelligence Studies". Trotz mehrerer Anläufe seien diese Versuche am mangelnden Interesse gescheitert: "Es hat sich nie etwas getan."
Dabei wäre es dringend notwendig, dass nur bestausgebildete Personen in einen solchen Dienst kommen, sagt Beer: "Die dürfen unter keinem Parteieinfluss stehen. Da braucht es integere Leute, die das Wohl des Staates im Auge haben."
Intrigen in der Behörde
Statt eine effektive Spionageabwehr zu gewährleisten, wurde die Behörde selbst zu einem Problemfall. Intrigen, Eifersüchteleien und der fehlende Blick auf das Staatswohl waren Mitauslöser für die völlig missglückte Hausdurchsuchung beim BVT im Februar 2018. Ex-Beamte der Behörde dienten als fragwürdige Belastungszeugen der Ermittler. Infolge der Razzia schränkten ausländische Staaten ihre Zusammenarbeit stark ein. Bereits zuvor wurden Vorwürfe anderer Staaten laut, dass Informationen aus der Behörde nach Moskau abfließen.
Ein für Russland arbeitender Spion soll der Ex-BVT-Beamte Egisto Ott sein. Er wurde 2017 deshalb aus dem BVT hinaus versetzt. Ott bestreitet die Vorwürfe und wirft anderen Ex-BVT-Beamten vor, illegale Aufträge wie unrechtmäßige Observationen erteilt zu haben: Ein Strafprozess dazu läuft derzeit am Wiener Straflandesgericht.
Gegen Ott wird aber auch ermittelt, weil er gemeinsam mit einer Clique aus ehemaligen Verfassungsschützern über Jahre geheime Infos abgesaugt und verkauft haben soll - etwa an den berüchtigten Zahlungsdienstleister Wirecard. Auch soll seine Gruppe die Handychats des Ex-Innenministerium-Kabinettschefs Michael Kloibmüller geleakt haben. Ott weist die Vorwürfe zurück.
Nicht nur die diversen Altlasten des BVT nagen am Neustart der DSN. Die Bestellung Omar Haijawi-Pirchners zum neuen DSN-Chef verlief nicht ohne Nebengeräusche, ihm wird eine deutliche ÖVP-Nähe vorgeworfen. Auch die Affäre rund um die - später zurückgezogene - Ernennung des ÖVP-Politikers Stephan Tauschitz zum Leiter des Kärntner Landesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung war ein Rückschlag. "Damit waren wir wieder überall in den Medien: in den USA, in England, überall", so Beer. Diese "Watschn aus dem Ausland" hätte sich Österreich ersparen können.
"Es wartet viel Arbeit auf die neue Führung"
Abhilfe verschaffen soll nun die Durchsetzung der BVT-Reform. Sie sieht unter anderem eine bessere Ausbildung und Überprüfung der Mitarbeiter vor, darunter einen neuen Lehrgang Staatsschutz an der FH Wiener Neustadt. Die Trennung zwischen der analytisch-nachrichtendienstlichen Gefahrenerforschung und der polizeilichen Gefahrenabwehr soll in der Behörde zudem klar vollzogen werden.
Beer sieht positive Ansätze, wobei "eine Fachhochschule keine universitäre Vollausbildung ersetzt". Zumindest gebe es nun einen Dialog zwischen dem Dienst und der Wissenschaft. Es brauche aber noch weitere Schritte. "Es muss jemand im Bundeskanzleramt geben, der die Dienste koordiniert, etwa einen Staatssekretär." Daneben müsse auch eine effektive interne Kontrolle etabliert werden. "Es wartet viel Arbeit auf die neue Führung", sagt Beer.