Es mag ein historischer Glücksfall sein, daß Österreich ausgerechnet zum Zeitpunkt der Einführung des Euro die bisher günstigste ökonomische Wettbewerbsposition seit einem halben Jahrhundert | erobert hat. Seit dem "Kamitzschen-Wirtschaftswunder" der frühen fünfziger Jahre gab es noch nie ein optimaleres und ausgewogeneres Verhältnis zwischen flottem Wirtschaftswachstum, einer nahezu | perfekten Preisstabilität, Exportrekorden mit ansehnlichen Marktanteilsgewinnen dank der besten Lohnstückkostenposition seit fast fünf Jahrzehnten, höchster Beschäftigung und nicht zuletzt einer | äußerst effizienten Sanierung der Staatsfinanzen ohne Deflationsschock.
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Die gleichzeitige Bewältigung aller dieser besonders wichtigen Wirtschaftsziele gelingt nur in ganz seltenen Ausnahmefällen und erscheint umso eindrucksvoller, als sie auf einem fünfmal so hohen
Wohlstandsniveau (wie um 1950) inmitten des engsten elitären Kreises der reichsten Nationen dieser Erde ohne schmerzhafte Radikalkuren realisiert werden konnte.
Wirtschaftswachstum
Die jüngsten Wirtschaftsprognosen des WIFO und des IHS orten Österreich neuerdings wieder auf klarem "Überholkurs" wie in seinen besten Zeiten. Mit der angekündigten Dynamik von 3,3% (1998) und
2,4% (1999) liegt Österreich mit Abstand vor Deutschland (2,8% und 2,0%), der EU (3,0% und 2,2%) und der gesamten OECD (2,0% und 2,0%), weil unsere hohe Wirtschaftskraft, effektiver als andere
Länder, imstande war, den restriktiven Budgetkurs durch kräftigere Exporte, eine stärkere Konsumnachfrage und eine ungebrochene Investitionslust nicht nur zu entschärfen, sondern sogar noch
überzukompensieren. Die leichte Abschwächung heuer ist nicht im geringsten hausgemacht, sondern sie wird uns von außen durch die bekannten Krisenherde aufgezwungen. Sollten sich diese auch nur
halbwegs stabilisieren, dann ist (laut WIFO) ab 2000 mit steigenden Wachstumsraten zu rechnen, zumindest bis 2002.
Preisstabilität
Mit der minimalen Preisrate von 0,9% im eben abgelaufenen Jahr, der geringsten seit 45 Jahren, hat die Inflation aufgehört, ein wirtschaftspolitisches Problem zu sein, zumal sie abzüglich der kaum
meßbaren Qualitätskomponente ohnehin gegen Null tendiert. Im Vergleich zur ähnlichen Preisstabilität in Japan, der Schweiz oder Deutschland ist die österreichische Preisperformance noch höher
einzuschätzen, weil sie nicht nur ohne den dort herrschenden deflatorischen Druck einer ganz schwachen Binnennachfrage, sondern trotz der bei uns expansiven Binnennachfrage dank hoher Produktivität
und sinkenden Lohnstückkosten erzielt wurde. Die Gefahr einer künftigen Inflationsbeschleunigung kann angesichts des immer schärferen Konkurrenzdruckes in der EU praktisch ausgeschlossen werden.
Arbeitslage
1998 wurde nach Überwindung der konjunkturellen Durststrecke von 1993/96 das absolut höchste Beschäftigungsniveau aller Zeiten erreicht, was in der EU bei weitem noch nicht der Fall ist. Der auf
fünf Jahre konzipierte nationale Beschäftigungsplan wurde bereits im 2. Jahr zu mehr als der Hälfte übererfüllt. Wenn die Arbeitslage trotzdem noch immer als unbefriedigend empfunden wird, dann liegt
dies trotz der international beneidenswert niedrigen Arbeitslosenrate von 4,5% (1998) bzw. 4,4% (1999) an der hartnäckigen Starrheit. De facto wird nämlich trotz steigender Nachfrage eine spürbare
Senkung der Rate nur durch den starken Andrang von Frauen aus der "stillen Reserve" in den Arbeitsmarkt bisher verhindert. Dementsprechend liegt auch die strukturelle Rate der Arbeitslosigkeit (ohne
Saisonarbeitslose) für Männer mit 3,6% signifikant niedriger als für Frauen (5,3%). Wenn auch zunehmend (meist gewollt) auf Teilzeitarbeit ausgewichen wird, sind die heimischen Arbeitsmarktprobleme
erheblich leichter lösbar als in den meisten anderen Ländern. Angebliche Musterschüler, wie etwa Holland oder die USA, scheiden als Vorbilder aus, weil deren "Erfolge" nur durch extremes Ausweichen
in die Teilzeitarbeit (Holland), bzw. durch eine massive Ausweitung von Niedrigstlohnjobs ohne Reallohnerhöhungen seit Jahrzehnten (USA) für Österreich nicht akzeptabel sind.
Leistungsbilanz
Die seit 1995 feststellbare leichte Passivierung der Leistungsbilanz zufolge eines währungsbedingten massiven Einbruchs der traditionell hohen Reisebilanzüberschüsse beginnt sich nunmehr
nachhaltig zu entschärfen. Dank dem EU-Beitritt konnte das seit Jahrzehnten überhöhte Defizit der Handelsbilanz von 5,2% (1994) auf 2,7% des BIP (1998) bereits für die Hälfte gedrosselt werden.
Gleichzeitig erfolgt eine sprunghafte Renaissance der Reisebilanz mit kräftig steigenden Überschüssen, sodaß abzüglich der strukturell nicht relevanten EU-Beiträge (0,6% des BIP) die allgemein
geltende Toleranzgrenze von 1,0% des BIP für die Leistungsbilanz möglicherweise schon im Vorjahr (1998), mit einiger Sicherheit aber heuer deutlich unterschritten sein könnte. Da in Hinkunft
Leistungsbilanzsalden innerhalb der EU keine Rolle mehr spielen werden, und die Beziehungen außerhalb der EU ("Extra-Stat") für Österreich hochaktiv sind, verliert die Leistungsbilanz ihre bisherige
dominante Rolle.
Schon seit vier Jahren werden die geplanten Staatsdefizite im endgültigen Budgetvollzug regelmäßig um jeweils einen vollen Prozentpunkt (des BIP) unterschritten. Der Erfolg der ausgabenseitigen
Budgetsanierung wird zufolge einer unrealistischen statischen Betrachtungweise immer wieder maßlos unterschätzt. In Wirklichkeit wuchsen die effektiven Staatsausgaben seit 1995 nur halb so stark wie
das nominelle BIP mit dem Ergebnis, daß die Ausgabenquote am BIP seit drei Jahren um mehr als vier Prozentpunkte dramatisch abgesackt ist. Gleichzeitig blieb die Einnahmenquote annähernd konstant
(die erhöhte Steuerquote wird durch schrumpfende Quoten der Sozialabgaben und der sonstigen Einnahmen ausgeglichen), sodaß im auffallenden Gegensatz zur oberflächlichen Budgetkritik aus dynamischer
Sicht der Budgetsanierungskurs zu 100% ausgabenseitig und überhaupt nicht einnahmenseitig erfolgt ist. Dieser überaus positive Budgettrend gilt auch noch für 1998, sodaß der aktuelle Prognosewert von
2% stark überhöht erscheint. Allein ausgabenseitig (BIP: plus 4,5%, Ausgaben: plus 2,5% bis maximal 3%) ist für 1998 eine weitere Defizitminimierung um einen vollen Prozentpunkt vorprogrammiert.
Schlußfolgerungen
Die gleichzeitige Realisierung von solidem Wachstum, Preisstabilität, hoher Beschäftigung, äußerer und innerer finanzieller Stabilität gilt in der Wirtschaftstheorie als Idealzustand schlechthin.
Dieser erstrebenswerten Konstellation ist Österreich unmittelbar nach vollzogenem Eintritt ins Euro-Land so nahe gekommen, wie seit fünf Jahrzehnten nicht mehr und noch dazu auf einem so hohen
Wohlstandsniveau, das nur von ganz wenigen Nationen dieser Erde erkennbar überschritten wird (USA, Schweiz, Norwegen und Luxemburg). Selbst die einst unnahbaren Japaner sind nicht mehr darunter. Die
Europareife konnte hierzulande sogar ohne schmerzhafte radikale Roßkuren, wie etwa in Schweden, Finnland oder Holland errungen werden, weil unsere hohe Produktivität, unsere hohe politische und
soziale Konsensbereitschaft, sowie unsere hohe Sparkraft und unsere hohe Problemlösungskapazität überhaupt, sanftere, schmerzlosere und elegantere Sanierungsschritte auf allen Ebenen ermöglichten.
Die Voraussetzungen, daß dies auch nach der Jahrtausendwende so bleibt, sind dank dem Euro sehr gut abgesichert, weil unsere solide Position durch riskante Währungsspekulationen kaum mehr bedroht
werden kann.
Prof. Dr. Anton Kausel leitete von 1956 bis 1973 die Abteilung Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung und Öffentliche Finanzen im Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo). Anschließend war er im
Österreichischen Statistischen Zentralamt (ÖSTAT) tätig. Von 1981 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1984 bekleidete er das Amt des Vizepräsidenten.