Leonid Wolkow, Mitstreiter des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny, im Gespräch.
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Moskau. Leonid Wolkow ist einer der engsten Mitarbeiter des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny. Im Interview mit der "Wiener Zeitung" spricht er über den bevorstehenden Wien-Besuch des russischen Präsidenten Wladimir Putins, über Hitler-Vergleiche und die Pläne der Opposition während der Fußball-WM in Russland.
"Wiener Zeitung":Am Dienstag wird der russische Präsident Wladimir Putin nach Wien reisen, um den Präsidenten Alexander Van der Bellen und Kanzler Sebastian Kurz zu treffen. Wie sehen Sie diese Zusammenkunft?
Leonid Wolkow: Die österreichische Regierung will sich als eine Brücke zwischen der EU und Russland positionieren. Wien hat auch als eines der wenigen EU-Länder keine russischen Diplomaten ausgewiesen. Das macht deutlich, dass die österreichische Regierung nicht versteht, wie Wladimir Putin tickt und wie man mit ihm umgehen soll. Putin sieht jede Form von Dialogbereitschaft schon als Schwäche an.
Wie soll man denn dann aus Ihrer Sicht mit Putin umgehen?
Putin selbst sieht sich als Führer einer Großmacht, als Bauherr einer neuen Weltordnung. Aber eigentlich ist er jemand, der die Wirtschaft in Russland zerstört und sich nur noch mit Repressionen an der Macht hält. Außerdem trägt Putin die Verantwortung für massive Menschenrechtsverletzungen, wie etwa für den Abschuss des Flugzeuges MH17. Deswegen sollte die internationale Gemeinschaft ihm gegenüber einen deutlich strengeren Ton anschlagen. Dass man ihn nicht bittet, Oleh Senzow (ukrainischer Regisseur, der derzeit in Russland in Haft ist, Anm.) oder andere politische Gefangene freizulassen oder die Verantwortung für MH17 zu übernehmen, sondern dass man das fordert! Man sollte ihm seinen Platz zuweisen, der ihm gebührt, am besten vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Jeder Flirt mit ihm ist ein schwerer Fehler. Putin glaubt ja ohnehin, dass er mit allem durchkommt.
Wie kommen Sie darauf?
Einerseits wird Putin öffentlich vom Westen kritisiert, aber andererseits ist Europa von Russland abhängig. Es ist klar, dass das russische Gas billiger ist als Flüssiggas aus Katar und dass das korrupte Geld aus Russland vielen Europäern auch Einkünfte bringt. Russland exportiert Korruption. Halb London ist mit russischem Geld aufgekauft. Dieses schmutzige Geld ist wie eine Droge, und Europa hängt an dieser Nadel. In Großbritannien haben wir vier Jahre lang für ein Gesetz lobbyiert, um klarere Verhältnisse bei der Herkunft der Aktiva russischer Oligarchen zu haben. Dort musste zuerst diese furchtbare Geschichte mit Sergej Skripal (dem vergifteten Doppelagenten, Anm.) geschehen, bevor endlich Bewegung in die Sache kommt.
Auch in Österreich haben viele russische Oligarchen ihr Geld geparkt.
Wir haben uns auf London konzentriert, weil hier nun mal am meisten korruptes russisches Geld ist. Aber klar, auch Österreich ist bei den "Gaunern und Dieben" (ein Ausdruck, den Nawalny geprägt hat und die politische Klasse rund um Wladimir Putin beschreibt, Anm.) beliebt. Wir müssen uns außerdem nur den Fall um den ukrainischen Oligarchen Dmitrij Firtasch ansehen, da macht Österreich keine gute Figur.
Zuletzt hat sich die Rhetorik gegenüber Putin aber deutlich verschärft. Das ging so weit, dass der britische Außenminister Boris Johnson die Fußball-WM in Russland mit den Olympischen Spielen unter Hitler 1936 verglichen hat.
Und Boris Johnson hat recht.
Wie bitte? Sie wollen Putin wirklich mit Hitler vergleichen??
Absolut, ja. Es ist klar, dass wir jetzt nicht das Jahr 1936 haben und dass wir das Ausmaß der Repressionen auch nicht direkt vergleichen können. Die Gesellschaft hat sich verändert. Das, was vor 50 Jahren möglich war, ist heute nicht mehr möglich. Aber es gibt in Russland auch ganze Bevölkerungsgruppen, die unter Druck gesetzt werden, wie die Zeugen Jehovas oder LGBT.
Sehen Sie sich an, was mit Schwulen in Tschetschenien passiert! Natürlich leben wir heute in anderen Zeiten. Aber der italienische Autor Umberto Eco hat einmal 14 Charakteristika des Faschismus aufgezählt, und viele davon finden wir heute auch in Russland.
Nawalny ist aber selbst mit nationalistischen Töne, vor allem zu Beginn seiner politischen Karriere, aufgefallen, als er Migranten mit Parasiten verglichen hat. Wie viel Nationalismus steckt heute noch in der Nawalny-Bewegung?
Nawalny hat zu Beginn seiner politischen Karriere vielleicht eine extremere Position vertreten, als heute. Heute treten wir für eine Visumsregelung mit den Ländern aus Zentralasien ein. Brauchen usbekische Staatsbürger ein Visum, um nach Österreich zu kommen? Oder aus dem Kosovo nach Österreich? Eben. Wir stehen für ein Visumsregime und geregelte Migration.
Alexej Nawalny wurde bei den Präsidentschaftswahlen im März nicht zugelassen und hat zu einem Boykott aufgerufen. Letzten Endes lag die Wahlbeteiligung bei 67 Prozent. Kann man den Boykott wirklich als Erfolg verbuchen?
Insgesamt ja. Der Kreml hat eine noch nie da gewesene Kampagne organisiert, um die Wahlbeteiligung zu heben. Aber trotz des Drucks ist es uns gelungen, Wahlbeobachter im ganzen Land zu organisieren.
Wir haben viele Unregelmäßigkeiten dokumentiert, wie etwa im Nordkaukasus. In ein Wahllokal haben unsere Beobachter 400 Leute gezählt, laut offiziellen Daten sollen dort aber 1900 abgestimmt haben.
Es gibt aber auch kritische Stimmen, die sagen, Sie hätten mit dem Boykott erst recht Putin geholfen, ein gutes Ergebnis einzufahren. Haben Sie Putin geholfen?
Natürlich nicht! Das ist ja lächerlich. Das waren doch keine echten Wahlen. Wahlen sind echt, wenn du wirklich etwas verändern kannst. Selbst in der Sowjetunion hat es Wahlkabinen gegeben. Was wir im März gesehen haben, war doch nur eine Wiedereinsetzung Putins, die so ausgesehen hat, als wäre sie eine Wahl. Der Boykott hat deswegen Sinn gemacht, weil es ja gerade die Legitimität dieser Wiedereinsetzung in Frage stellt. Im Übrigen hat der Kreml auch gar nicht für Putin agitiert, sondern nur für die Wahlbeteiligung.
Es ist wohl unbestritten, dass 2017 ein erfolgreiches Jahr für Nawalny war - das Enthüllungsvideo zum Premier Dmitri Medwedew wurde auf YouTube fast 30 Millionen Mal geklickt und hat zu Protesten im ganzen Land geführt. Viele junge Nawalny-Anhänger sind trotzdem enttäuscht, dass Nawalny nicht einmal zu den Wahlen antreten durfte und sich eigentlich nichts geändert hat. Wie geht es jetzt weiter?
Die politische Aktivität entwickelt sich in Wellen. Mal geht es rauf, dann wieder runter. Das ist nun mal so. Im letzten Jahr sind wir als Organisation stark gewachsen und haben viele neue Stäbe im ganzen Land eröffnet. Heute sind wir stärker, als noch vor 2017. Das ist die Basis, von der aus wir wieder unsere nächste politische Kampagne starten werden. So läuft es ja schon viele Jahre. Und dann werden wir wieder wachsen und die Machthaber weiter unter Druck setzen.
In knapp zwei Wochen beginnt in Russland die Fußball-WM. Es wird viel internationale Aufmerksamkeit geben. Ist das eine Chance für die Opposition?
Worauf die ganze Welt schaut, interessiert uns eigentlich nicht. Es gibt nur eines, was uns wirklich interessiert: der russische Wähler. Ich hab keinerlei Illusionen, dass uns irgendjemand aus dem Ausland helfen wird. Wir müssen uns schon selbst um uns kümmern und unsere Probleme selber in den Griff bekommen. Andererseits ist die WM aber natürlich auch ein guter Anlass, um Stress und politischen Druck auf den Kreml auszuüben. Zugleich wollen wir den Fans aber auch nicht die WM kaputtmachen und ihnen ihre Stimmung verderben. Wir denken gerade darüber nach, welche Form angemessen wäre. Im Übrigen deutet alles darauf hin, dass die Repressionen nach der WM wieder ansteigen werden, wenn die Aufmerksamkeit wieder weg ist.
Sie arbeiten seit vielen Jahren mit Nawalny zusammen. Dieser Tage gibt es wieder eine Verhaftungswelle bei Ihren Kollegen. Nawalny und weitere 20 Mitarbeiter sind oder waren zuletzt in Haft. Auch Sie selbst waren während der Präsidentschaftswahlen inhaftiert und haben im vergangenen Jahr mehrere Wochen im Gefängnis verbracht. Warum tun Sie sich das an?
Ich bin davon überzeugt, dass Russland in jeder Hinsicht ein europäisches Land sein kann. Ein Land, in dem es Rechtssicherheit gibt, eine freie Medienlandschaft und freie Wahlen. Es gibt keinen Sonderweg, keinen dritten, asiatischen Weg für Russland. Wir sind Teil der europäischen Kultur. Wladiwostok ist viel mehr Europa als Istanbul. Ein Land, in dem es Probleme gibt, die aber mit Wahlen, und nicht mit Verhaftungen und Gefängnisstrafen gelöst werden. Mit unabhängigen journalistische Recherche und nicht mit Schlägen der Polizei. Mit Demonstrationen, und nicht mit Drohungen.
Leonid Wolkow (37) ist IT-Spezialist und seit Jahren ein enger Mitstreiter und Wahlkampfleiter des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny. Er ist Politiker der Fortschrittspartei, die nicht von den russischen Behörden registriert wurde. Wolkow reiste für einen Vortrag im Bruno-Kreisky-Forum nach Wien.