Zum Hauptinhalt springen

Österreich ist nicht das EU-Schlusslicht

Von Anton Kausel

Wirtschaft

Ausgerechnet im hart errungenen Stadium der stärksten Wettbewerbsposition und der besten Standortqualität seit einem halben Jahrhundert wirkt die hämische Abqualifizierung Österreichs als Schlusslicht in bloß einem einzigen (noch dazu kurzlebigen) Kriterium wie eine gezielte Provokation. Gemessen an Wirtschaftswachstum, Wohlstandsniveau, industrieller Dynamik, Preisstabilität und Zinsniveau, Beschäftigung und Arbeitslage, Exportstärke und Kostenlage, kombiniert mit einer optimalen Einkommensverteilung und höchster Lebensqualität nimmt Österreich weltweit Spitzenränge ein.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 24 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Sogar die unangemessen dramatisierte Staatsverschuldung ist zwar hoch, aber trotzdem noch immer klar niedriger als der EU-Durchschnitt und nur wenig höher als das erlaubte Limit von 60% des BIP.

Einzig und allein die (geplante) Neuverschuldung rutschte zufolge der etwas voreiligen Steuer- und Familienreform vorübergehend ins "Abseits", obwohl auch sie noch die erlaubte Obergrenze spielend unterschreitet. Ohne die genannten populären "Fleißaufgaben" wäre Österreich auch in der Staatsgebarung bei weitem kein "Schlusslicht", sondern genauso "Musterschüler", wie in allen anderen Bereichen.

Wirtschaftswachstum

Der EU-Beitritt hat eine kräftige wirtschaftliche Dynamik freigesetzt. Die diesjährige Wachstumsrate von zumindest 3 1/4% ist mit Ausnahme von 1990 die beste seit zwei Jahrzehnten und verspricht in der Endabrechnung noch höher auszufallen.

Die heimische Wirtschaft floriert vornehmlich durch prächtige Exporterfolge bei gleichzeitig steigender Inlandsnachfrage - ein Idealfall für jede effiziente Budgetpolitik. Die seit 1995 mit Ausnahme von Irland und Finnland stärkste industrielle Dynamik (sogar die USA werden übertroffen) im ganzen OECD-Raum stützt sich angebotseitig auf die günstigsten Lohn-Stückkosten seit fast 50 Jahren dank überlegener Produktivität, solider Lohnpolitik, rückläufigen Vorleistungskosten und maßvoller direkter Besteuerung. Unsere Standortqualität rangiert daher weltweit unter den "Top Ten" von 450 Regionen.

Die Vorbedingungen für ein künftighin überdurchschnittliches Wirtschaftswachstum Österreichs in der Welt erscheinen demnach bestens vorprogrammiert.

Preisstabilität

Im Rahmen der vier maßgeblichen Maastricht-Kriterien erreichte Österreich im Vorjahr mit einer Preisrate von 0,5% in der EU die absolute Spitzenposition und mit einem langfristigen Zinssatz von 4,7% einen guten 5. Rang. Auch weltweit bleibt unsere stabilitätspolitische Vorbildfunktion ziemlich unangefochten, wenn auch zeitweise ein leichter Preisauftrieb durch Ölpreis und Gebühren unvermeidbar ist.

Eine gewisse Entspannung scheint erst 2001 möglich, wenn sich der Ölpreisauftrieb erschöpft, die Energie- und Telekomliberalisierung voll wirksam wird und wenn der Dollar fast zwangsläufig durch den Euro wieder unter Druck geraten sollte.

Arbeitslage

Die fundamentale Stärke der heimischen Wirtschaft prägt nunmehr intensiv auch den Arbeitsmarkt. Der radikale Abbau der Arbeitslosigkeit übertrifft alle Erwartungen. Mit der zuletzt realisierten und international vergleichbaren Rate von 3,3% rückt Österreich schon ganz nahe an den Schwellwert zur Vollbeschäftigung (3%) nahe heran. Vor allem in den sensibelsten Bereichen der Jugend- und Langzeitarbeitslosigkeit ist Österreich so gut wie unnahbar.

Die seit 1997 sprunghaft steigenden "Offenen Stellen" führen zu einem dramatischen Absturz der "Andrangsziffern". Die Qualität unserer Arbeitslage unterscheidet sich von den ebenfalls erfolgreichen Modellen Holland und USA durch einen wesentlich höheren Grad von Vollzeit-Erwerbstätigkeit. die Pensionsproblematik wird durch die positive Wende am Arbeitsmarkt nachhaltig entschärft.

Leistungsbilanz

Auch das traditionelle Sorgenkind Leistungsbilanz wird seit dem EU-Beitritt zum Erfolgsmodell. Seit 1994 kam es zur effektivsten Verbesserung der Warenbilanz seit 1953 und dies trotz pulsierender Inlandsnachfrage. Im Fünfjahreszeitraum 1994 bis 1999 wuchs der Exportwert um satte 60%, der Import aber nur um 41%. Dadurch schrumpfte das Defizit der Handelsbilanz von langfristig nahezu erstarrten 5% des BIP urplötzlich auf die Hälfte (2,5%). Dieser Trend setzt sich auch heuer wieder durch. Auf dem Weltmarkt hält Österreich exportseitig derzeit mit über 1,2% seinen höchsten Marktanteil aller Zeiten.

Der traditionelle hohe Dienstleistungsüberschuss sorgt schließlich für den sich endgültig abzeichnenden Ausgleich der strukturellen Leistungsbilanz. Lediglich die passive Einkommens- und Transferbilanz (reinvestierte Gewinne ausländischer Konzerne, Gewinnabflüsse und EU-Beiträge) führen zu einer strukturell unbedenklichen Überschreitung der Toleranzgrenze für die gesamte Leistungsbilanz, die aber im Rahmen des EU-Binnenmarktes unwirksam ist. Gegenüber allen Drittstaaten ist unsere Leistungsbilanz weltweit hochaktiv. Nach gründlicher Analyse der fünf wichtigsten klassischen ökonomischen Kriterien wie Wachstum, Inflation, Arbeitslosigkeit, Leistungsbilanz und Staatshaushalt erfüllt Österreich zumindest in vier Bereichen höchste internationale Ansprüche. Lediglich die Staatsgebarung harrt noch einer endgültigen Sanierung, die aber aus einer Position der wirtschaftlichen Stärke heraus früher und reibungsloser erfolgen kann als es bisher den Anschein hatte.

Mit allergrößter Wahrscheinlichkeit dürfte der ausgeglichene Staatshaushalt früher gelingen, als es die Budgetpolitik derzeit noch vorsieht. Unser Land hat darüberhinaus noch weitere Vorzüge aufzuweisen die international aber nur wenig Beachtung finden, weil sie eher ideellen Charakter haben. Diese heissen Einkommensverteilung und Lebensqualität.

Nach einer so gut wie totgeschwiegenen Analyse der Weltbank für 130 Nationen wird Österreich weltweit die gerechteste Einkommensverteilung zwischen arm und reich zuerkannt. Die Spanne im Einkommen zwischen dem ärmsten "Dezil" (10% der jeweiligen Bevölkerung) und dem reichsten "Dezil" (oberste 10%) liegt in Österreich bei 1:4,4 (Skandinavien 1:5, Deutschland 1:6, Schweiz 1:10, USA 1:19). Das bedeutet dass das unterste Dezil in Österreich das bestversorgte unter allen 130 Ländern ist, dass aber unser oberstes Dezil der Reichen "nur" an 18. Stelle rangiert. Immerhin verdienen unsere Ärmsten 2,3 mal soviel wie die ärmsten 10% der Amerikaner. Das Verteilungsproblem scheint demnach bei uns besser gelöst zu sein als in allen anderen Ländern der Welt.

In engstem Zusammenhang damit steht auch die Lebensqualität im weitesten Sinne, die nach Erkenntnis einer unabhängigen Schweizer Ratingagentur ebenfalls zugunsten Österreichs ausfällt. Da hohe Lebensqualität in Form von guter Gesundheits- und Altersvorsorge, Umweltschutz, Luft- und Wasserqualität, geringer Kriminalität, perfekter Abfallentsorgung usw. als öffentliches Gut nicht gratis verfügbar ist, folgt daraus, dass zwischen öffentlichem Dienst und Lebensqualität ein unlösbarer Zusammenhang besteht, der offenbar kaum gesehen wird. Die oft gelästerte Bürokratie i.e.S. repräsentiert nur ganze 10% der gesamten, die hohe Lebensqualität der Nation garantierenden Staatstätigkeit.

Prof. Dr. Anton Kausel leitete von 1956 bis 1973 die Abteilung Volkswirtschafltiche Gesamtrechnung und Öffentliche Finanzen im Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo). Anschließend war er im ÖSterreichischen Statistischen Zentralamt (ÖSTAT) tätig. Von 1981 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1984 bekleidete er das Amt des Vizepräsidenten.