Johannes Hahn kritisiert Österreichs Zwitterposition bei Uni-Finanzierung. | "Keine politische Bereitschaft, Steuerquote zu erhöhen." | "Wiener Zeitung": Bildung gilt, zumindest darüber sind sich alle Experten einig, als das große Zukunftsthema. Österreich verfügt hier über substanzielle Strukturprobleme. Warum gelingt der Politik hier kein Reformwurf aus einem Guss, blockieren sich Parteien und Interessensvertreter mit Leidenschaft? | Johannes Hahn: Weil die Hauptadressaten Kinder und Jugendliche sind - und sie verfügen im Gegensatz zu allen anderen Akteuren über keine ausreichende Lobby. Deshalb haben die Repräsentanten der bestehenden Strukturen eine besonders starke Stellung.
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Das ist ihr Job, aber Repräsentanten von Institutionen wirken - leider - in der Regel systemerhaltend. Diese Konstellation, und gar nicht so sehr die ideologischen Unterschiede zwischen den Parteien, machen Veränderungen schwierig.
Dennoch gelingt Politik von Zeit zu Zeit ein Kraftakt, wenn es die Situation unbedingt erfordert - etwa jetzt die milliardenschweren Konjunkturpakete. Ist im Bildungsbereich der Problemdruck noch nicht ausreichend groß?
So miserabel kann unser Ausbildungssystem auch wieder nicht sein, ansonsten hätten wir nicht eine so niedrige Jugendarbeitslosenquote. Das im schulischen Bereich hochgelobte Finnland liegt hier doppelt so schlecht. Bei den postsekundaren Abschlüssen liegen wir hinter Irland EU-weit auf Platz zwei. Nimmt man also die Effizienz unseres Schulsystems am Arbeitsmarkt, liegen wir nicht so schlecht. Das ändert aber nichts an der Notwendigkeit, unsere Schulen weiterzuentwickeln.
Streitpunkt Nummer eins ist die Entscheidung zwischen AHS und Hauptschule mit 10 Jahren. Man hat den Eindruck, auch wenn es die ÖVP nicht laut sagt, dass eine Grundsatzentscheidung zugunsten der Gesamtschule getroffen wurde.
Ich kenne keinen anderen Politikbereich, wo es eine dermaßen hohe Sensibilität gegenüber einzelnen Begriffen gibt, die dann inhaltliche Debatten überlagern. Wenn wir ein Schulkonzept verfolgen, das eine maximale Förderung und Forderung des einzelnen Schülers zum Ziel hat, dann ist die organisatorische Dachmarke zweitrangig. Sollten verschiedene Schultypen die notwendige Individualisierung behindern, müssen wir das ändern. Zentral ist, dass wir unterschiedliche Begabungen und Entwicklungsschritte noch besser berücksichtigen.
Zum anderen müssen wir uns endlich der Frage stellen, was Allgemeinbildung heute bedeutet, was Schule leisten soll und muss. Wir lehren seit Jahrzehnten mit wenigen Ausnahmen den gleichen Fächerkanon - mit der Konsequenz, dass hier Wissen kurzfristig angesammelt wird, um hinterher wieder vergessen zu werden. In einer Wissensgesellschaft besteht aber die Kernkompetenz darin, sich Wissen verfügbar zu machen. Dazu bedarf es einer Neustrukturierung des Fächerkanons.
In welcher Form?
Etwa die Zusammenfassung von Chemie, Physik und Biologie zu einem Fach Naturwissenschaft. Umgekehrt brauchen wir aber auch die Flexibilität, diese Fächer gesondert für all jene auszuweisen, die sich hier spezialisieren wollen. Wir diskutieren mit einer unglaublichen Verbissenheit die 10- bis 14-Jährigen und blenden mit einer Ignoranz den Oberstufenbereich aus - um dann die Schnittstellenprobleme zur Uni zu beklagen.
Apropos Unis: Deren Finanznot ist nicht neu, was war aus Ihrer Sicht der Auslöser für die Studentenproteste?
Inhaltlich muss man zwischen der fundamentalen Gesellschaftskritik, die ein kleiner Teil der Studierenden vertritt, und hochschulpolitischen Themen wie dem Unbehagen an der Umsetzung der Bologna-Struktur unterscheiden. Letzteres bewegt eine größere Gruppe, und mit diesem Punkt müssen wir uns auseinandersetzen. Vor dreißig Jahren war der Zeitdruck, das Studium rasch abzuschließen, noch nicht so enorm wie heute. Ein 28-Jähriger war damals bei seinem ersten Vorstellungsgespräch nicht verdächtig, gebummelt zu haben. Heute wäre er diesbezüglich hochgradig suspekt. Das führt bei manchen, die sagen, sie wollen während ihres Studiums auch andere Dinge kennen lernen und erfahren, zu Unbehagen. Umgekehrt zeigen uns Umfragen, dass 90 Prozent der Studierenden von den Unis eine ordentliche Berufsausbildung erwarten. Auch das darf man nicht negieren.
Bei den Zugangsbeschränkungen an den Universitäten behilft man sich derzeit mit dem Notfall-Paragrafen für die besonders überlaufenen Fächer. Das kann wohl keine Dauerlösung sein.
Das Problem ist: Die SPÖ steht in der Universitätspolitik heute ungefähr dort, wo die ÖVP in der Bildungspolitik vor zehn Jahren gestanden ist: Im beharrlichen Ignorieren aller relevanten Empfehlungen und Notwendigkeiten. Wenn die SPÖ nur isoliert auf einzelne Aspekte eingeht, dann führt das dazu, dass das gesamte System aus den Fugen gerät. Deshalb sind die Universitäten heute im tertiären Bildungsbereich die Einzigen, die sich ihre Studierenden nicht selbst aussuchen können. Das führt wiederum zu Ausweichstrategien: Wer die Aufnahmetests an den Pädagogischen Hochschulen nicht besteht, wechselt an die Uni und belegt das Fach für Lehramt. Wer die Fachhochschule für Journalismus nicht packt, studiert Publizistik. Wir müssen endlich eine ehrliche Diskussion um die Aufnahmebestimmungen an den Unis führen, darum werden wir nicht herumkommen. Ich hoffe, dass dies im Zuge des Hochschuldialogs geschieht. Wir brauchen dringend eine Lösung, die jetzige Situation ist auf Dauer nicht haltbar. Wichtig dabei ist, dass diese Debatte nicht sofort mit der Frage von Studienbeiträgen vermengt wird. Mit diesen kann man den Zustrom zu einzelnen Studienfächern nicht steuern.
Wie konnte es überhaupt zu einer so extremen Unterfinanzierung der Universitäten kommen?
Nicht einmal darüber gelingt es in Österreich, Konsens herzustellen. Seit Jahren tragen wir das Ziel "zwei Prozent des BIP für den tertiären Bereich" vor uns her. Diese zwei Prozent sind aber eine additive Größe von öffentlichen und privaten Mitteln. Beim öffentlichen Anteil liegt Österreich sowohl im EU- als auch im OECD-Schnitt; wo wir katastrophal liegen, ist der Anteil an privaten Mitteln.
Grundsätzlich gibt es zwei Modelle: Das eine wird in Skandinavien praktiziert, wo mit einer sehr hohen Steuerquote unter anderem ein gebührenfreies Studium finanziert wird. Die Alternative dazu wird in den USA gelebt, wo eine vergleichsweise niedrige Steuerquote den Menschen mehr Geld in der Tasche lässt. Der Hintergedanke dabei lautet, dass sich der Einzelne die Bildung, die er will, überwiegend selbst finanziert.
Österreich ist wie immer "in between": Bei der Steuerquote liegen wir zwischen Skandinavien und den USA, wir haben aber dennoch de facto keine Studienbeiträge. Gleichzeitig kann ich nicht erkennen, dass bei uns die politische Bereitschaft bestünde, die Steuerquote auf das skandinavische Niveau zu erhöhen, das ein Gratisstudium ermöglicht. Die Gesellschaft muss endlich eine klare Entscheidung über die künftige Finanzierung der Universitäten treffen.
In dieser zugespitzten Form - höhere Steuern oder Studiengebühren - wird diese Debatte aber in Österreich von der Politik nicht geführt.
Ja, weil dies wohl dem herrschenden Trend zur Vereinfachung zuwiderläuft. Es gibt keine Bereitschaft, darüber offen zu diskutieren, das haben wir gerade erst beim Hochschuldialog feststellen müssen. In Österreich dominiert die Einschätzung, und diese teile ich, dass ein Studium eine Verbesserung der persönlichen Lebenschancen bewirkt: Menschen mit einem Universitätsabschluss verfügen über ein höheres Lebenseinkommen, ein vielfach geringeres Risiko von Arbeitslosigkeit; Akademiker haben etwa auch ein höheres Gesundheitsbewusstsein. Das alles muss denjenigen, die davon profitieren, auch etwas wert sein. Eine finanzielle Eigenleistung wäre daher gesellschaftspolitisch sinnvoll. Die Studienbeiträge haben durchschnittlich ohnehin nur ein Zehntel der tatsächlichen Ausbildungskosten ausgemacht.
Zu Ihrer neuen Aufgabe in Brüssel: Sie müssen als künftiger Regionalkommissar Ihr Budget für die kommende Finanzperiode ab 2014 ausverhandeln. Dabei gibt es bekanntlich Gewinner und Verlierer - zu wem wird Österreich gehören?
Es gibt die einheitliche Auffassung, dass Regionalpolitik ganz Europa zu betreffen hat, wenngleich natürlich mit unterschiedlichen finanziellen Schwerpunktsetzungen.
Wie sollten Österreichs Verhandler agieren, um ein möglichst großes Stück vom Kuchen zu erhalten?
Da müssen Sie die Verhandler selbst nach ihrer Strategie fragen. Ich bin überzeugt, dass sie sich umfassend vorbereiten. Ich habe als designierter EU-Regionalkommissar eine europäische Funktion und muss alle Regionen im Blick haben, daher kann ich nicht mit mir selbst verhandeln.