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"Österreich keine Insel der Seligen"

Von Katharina Schmidt

Politik

DÖW-Leiterin Bailer-Galanda im Interview. | "Prozesse gegen NS-Verbrecher in Abwesenheit führen." | "Wiener Zeitung": Am 8. Mai 1945 waren der Zweite Weltkrieg und das dunkelste Kapitel in der Geschichte Österreichs zu Ende. Ist das den Menschen bewusst? | Brigitte Bailer-Galanda: Der 8. Mai als Tag der Befreiung ist vielen nicht im Gedächtnis. Der Tag ist leider in der Tradition vieler österreichischer Familien, wenn schon keine Niederlage, dann zumindest keine Befreiung.


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Reichen die Initiativen zur Sensibilisierung aus, um das "Niemals Vergessen" Wirklichkeit werden zu lassen?

Dieses Datum sollte viel stärker im Bewusstsein der Bevölkerung verankert werden. Dass die zahlreichen Bemühungen nicht genug sind, sehen wir immer wieder - etwa voriges Jahr mit dem Vorfall in Ebensee.

Die Störaktion der Gedenkfeier in Ebensee wird jugendlichen Hitzköpfen zugeschrieben .. .

Entweder war es eine organisierte neonazistische Aktion oder es war wirklich jugendliche Dummheit, was ich bezweifle. Wenn junge Menschen tatsächlich aus Dummheit oder Uninformiertheit mit Nazi-Symbolen spielen, wäre das ein Armutszeugnis für unsere Bildungsinstitutionen.

Rechtsextreme Umtriebe gibt es in Österreich aber im Vergleich zu Nachbarstaaten kaum. Ist Österreich da eine Insel der Seligen?

Nein. Da muss man sich nur ansehen, wie weit Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus in die Parteien hineinreichen. Wir haben eine Parlamentspartei, die mit fremdenfeindlichen Parolen Wahlkämpfe bestreitet. In Österreich ist die Situation anders, aber nicht a priori besser.

Rein mit Blick auf die Zahlen gibt es hierzulande aber wenig Rechtsextremismus.

Im Vergleich mit Ungarn oder Regionen im Osten Deutschlands ist die Situation in Österreich schon besser. Der Unterschied zu anderen westeuropäischen Ländern ist aber der, dass eine rechtspopulistische Partei wie die FPÖ regierungsfähig ist. Das wäre in Frankreich oder Belgien unmöglich.

Wo liegt der Grund dafür?

Wir haben eine relativ kleine Parteienlandschaft, dadurch kommt der FPÖ immer wieder die Rolle des potenziellen "Königsmachers" zu. Die Politik dürfte dieser Versuchung nicht erliegen, weil gewisse ideologische Ausformungen für so etwas nicht zugelassen werden dürfen. Aber in der Politik geht es zu oft um Macht und nicht um Moral.

Funktioniert die Abgrenzung zum Rechtsextremismus in den Parteien?

Jene zum militanten Rechtsextremismus sicher. Das muss man Österreich zugute halten: Jemand, der als Neonazi stigmatisiert ist, findet bei den Wählern keinen Anklang. Diese Grenze wird aber aufgeweicht, wenn fremdenfeindliche und rassistische Parolen als selbstverständlich hingenommen werden.

In der jüngsten Debatte hat die gesamte Staatsspitze ein Bekenntnis zum Verbotsgesetz abgegeben. Schaden solche Diskussionen dem demokratiepolitischen Konsens der Zweiten Republik oder nützen sie ihm?

Das einhellige Bekenntnis der Staatsspitze zum Verbot des Neonazismus ist sehr positiv. Es hat hier eine gewisse Bewusstseinsbildung stattgefunden. Insofern hatte die Debatte vielleicht etwas Positives.

Reicht das Verbotsgesetz Ihrer Ansicht nach aus?

Das Verbotsgesetz ist sicherlich ausreichend. Nachholbedarf gibt es allerdings bei der Möglichkeit, rassistischen oder antisemitischen Äußerungen einen Riegel vorzuschieben. Der Verhetzungsparagraf im Strafgesetz reicht nicht aus, weil er nicht greift, wenn jemand nicht gegen eine bestimmte Personengruppe, sondern allgemein etwa gegen "die Ausländer" hetzt.

Österreich wird oft für seinen laschen Umgang mit Kriegsverbrechern gerügt. Der letzte Schuldspruch gegen einen Nazi-Verbrecher war 1971.

In den 1970ern gab es skandalöse Freisprüche von Kriegsverbrechern, für die Österreich auch international zu Recht gerügt wurde. Der damalige Justizminister Broda beschloss: Bevor man sich Kritik anhört und mit Geschworenen kämpft, macht man überhaupt keine Verfahren mehr.

Wo liegt heute das Problem?

Die Täter sind heute so alt, dass es keine Schwierigkeit ist, Verhandlungsunfähigkeit attestiert zu bekommen. Es müsste möglich sein, solche Prozesse unter Abwesenheit des Angeklagten zu führen, um der Öffentlichkeit klar zu machen, dass diese Verbrechen nicht ungesühnt bleiben sollten.

In Deutschland ist das anders, dort wurde im März der 88-jährige Ex-SS-Mann Heinrich Boere verurteilt.

Historisch betrachtet, hat Österreich einen zu toleranten Umgang mit den Ehemaligen gepflogen. Eine inhaltliche Auseinandersetzung gab es unter dem Deckmantel der Opferthese lange nicht. In Deutschland müssten Politiker, die Äußerungen wie seinerzeit Jörg Haider tätigen, zurücktreten.

Zur PersonBrigitte Bailer-Galanda (58) ist Historikerin und seit 2004 Leiterin des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstands (DÖW). Foto: apa