Seggau - Seit Österreichs Beitritt zur Europäischen Union im Jahre 1995 sind rund 250 österreichische Vorabentscheidungsverfahren vor den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) getragen worden. Eine "außergewöhnlich hohe Zahl" wie EuGH-Richter Peter Jann einräumt, "im Hinblick auf die Bevölkerung sogar die höchste Zahl überhaupt". Wie es zu dieser hohen Zahl kommt, erläutert der Richter im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".
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Ökopunkte, Invalidenrenten, Brillenwerbung, Offenlegung von ÖIAG-Gehältern. Vielerlei Rechtsprobleme, darunter immer wieder politisch brisante Entscheidungen, finden ihren Weg nicht nur vor ein österreichisches Höchstgericht, sondern landen irgendwann auch vor dem EuGH. Jedes österreichische Höchstgericht hat die Möglichkeit, beim EuGH eine Vorabentscheidung einzuholen, wenn EU-Recht ins Spiel kommt. Und von dieser Möglichkeit wird öfter Gebrauch gemacht als anderswo. Ein Beispiel für den Unwillen österreichischer Richter, selbst zu entscheiden? "Nein", sagt Richter Jann klipp und klar. Vielmehr sei dieser Trend wohl ein Beispiel für die Aufgeschlossenheit der hiesigen Justiz gegenüber dem Gemeinschaftsrecht. "Schon vor dem EU-Beitritt hat man sich intensiv seitens der Rechtsprechung aber auch seitens der Gesetzgebung mit den Konsequenzen des EU-Beitritts befasst. Da hat es von Anfang an die Bereitschaft gegeben, den Vorrang des EU-Rechts anzuerkennen", vermutet Jann.
Die Richter der in Luxemburg ansässigen Instanz entscheiden nicht nur über die korrekte Anwendung des EU-Rechts in den Mitgliedsländern, sondern bilden auch das Gemeinschaftsrecht fort. Bei der gestrigen Eröffnung der Österreichischen Richterwoche in Seggau befasste sich Jann mit dem Rechtsinstitut der Staats- oder Amtshaftung, d.i. das Einstehen-Müssen des Staates für sein Fehlverhalten. Derzeit ist am EuGH ein Verfahren anhängig (Fall "Köbler"), in dem über einen Amtshaftungsanspruch gegenüber dem Verwaltungsgerichtshof entschieden werden soll. Nach österreichischem Recht sind Höchstgerichte derzeit "immun", d.h. sie können nicht schadenersatzpflichtig werden.
Wie auch immer das Verfahren ausgeht - Jann enthält sich aller Prognosen - befinde man sich, was die Staatshaftung angeht, "am Anfang einer Entwicklung". Der Rechtsgemeinschaft Europa werde jedenfalls kein Schaden entstehen. Janns persönliche Meinung als Staatsbürger: "Es ist grundsätzlich nicht einzusehen, warum sich der Staat seiner Verantwortung entziehen können sollte, nur weil er durch eines seiner Gerichte tätig wird." Ob er sich bei seiner Arbeit in Luxemburg eher Österreich oder der Europäischen Union verpflichtet fühle? "Das kann man nicht trennen." Er sehe sich nicht direkt als österreichischer Interessensvertreter am Gerichtshof, "aber ich versuche, unser Rechtssystem, unsere Denkweise den Kollegen nahe zu bringen".