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"Österreich muss höllisch aufpassen"

Von Heiner Boberski

Wissen

Ein einziger freier Uni-Zugang in Europa wäre verheerend. | "Politiker haben nicht begriffen, dass es um Qualität geht." | "Wiener Zeitung": Welche Aufgabe hat der Österreichische Wissenschaftsrat? | Jürgen Mittelstraß: Seine Aufgabe ist, das österreichische Universitäts- und Wissenschaftssystem zu analysieren, zu beurteilen und in beratender Funktion Empfehlungen auszusprechen, übrigens nicht nur gegenüber dem Ministerium, sondern auch gegenüber den Universitäten und dem Parlament.


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Derzeit arbeiten wir an Empfehlungen, die sich mit den Medizin-Universitäten, den Kunst-Universitäten und mit der Entwicklung des tertiären Systems insgesamt befassen. Leider hat in wichtiger Sache der Nationalrat just das Gegenteil von dem beschlossen, was wir empfohlen haben: Zugangsregelungen für alle Studienrichtungen und auf allen Ebenen. Jetzt hat man sogar die meisten der bestehenden Regelungen aufgehoben.

Ist die Politik nicht offen für die Empfehlungen eines Rates, den sie selbst eingerichtet hat?

Mit dem Ministerium haben wir ein sehr gutes, partnerschaftliches Verhältnis. Man ist nicht immer mit unseren Empfehlungen einverstanden, aber wir werden ernst genommen. Ähnliches gilt für unser Verhältnis zu den Universitäten. Da haben wir uns insbesondere in den Prozess der Leistungsvereinbarungen eingeschaltet und uns auch kritisch zum Ergebnis der ersten Runde geäußert. Dass nicht alles auf Anhieb klappt, war klar. Kritisch gegenüber dem Ministerium haben wir vermerkt, dass viel zu wenig Geld im Spiel war, das ein Anreiz hätte sein können, sich wirklich Mühe zu geben. Ein Wettbewerb muss sich lohnen, es muss Gewinner und Verlierer geben, sonst funktioniert dieses Spiel nicht. Jetzt hoffen wir, dass es in der zweiten Runde besser wird.

Was trägt der Wissenschaftsrat zum Thema Ethos in der Wissenschaft bei?

Er versucht mit allen seinen Empfehlungen nicht nur Wissenschaft und Universität zu fördern, sondern auch das Bewusstsein der in ihnen Tätigen für Wissenschaft als eine Lebensform und für eine Ethik der Wissenschaft zu sensibilisieren.

Wie sehen Sie die Entwicklung des Ista (Institute of Science and Technology Austria), dessen Gründung Sie seinerzeit empfohlen haben?

Die ersten Schritte sind durchaus im Kontext unserer Empfehlungen erfolgt. Kritisch haben wir uns zunächst nur zur Standortwahl geäußert. Wir meinten, dieses Institut sollte inmitten bestehender exzellenter anderer Einrichtungen in Wien entstehen. Inzwischen halten wir, wie auch viele andere, die zunächst kritisch zum Standort standen, den Standort doch für sehr geeignet; er ist ausbaufähig und liegt auch gar nicht so weit von Wien.

Was bedeutet der Rückzug von Tobias Bonhoeffer, der als erster Präsident ausersehen war, für das Projekt?

Das hat sicher den Fahrplan durcheinander gebracht, aber keinen Schaden angerichtet. Zu rechnen ist jetzt damit, dass zu Beginn des nächsten Jahres der Präsident gefunden sein wird und die ersten Arbeitsgruppen ihre Arbeit aufnehmen.

Was halten Sie von den internationalen Rankings, bei denen Österreichs Universitäten immer weiter zurückfallen?

Zu der Rankingsleidenschaft, aber auch zu einer grassierenden Evaluierungsseuche, die das gesamte Wissenschaftssystem ergriffen hat, kann man viel Kritisches sagen. Die Wissenschaft weiß selbst am besten, wo die exzellenten Wissenschafter sitzen; da bedarf es keiner großen Rankings. Was Österreich betrifft: In den auf Forschungsleistungen konzentrierten Beurteilungen liegen Österreichs Einrichtungen sehr viel besser als bezogen auf den Ausbildungsbereich. Dort sind sie häufig Massenuniversitäten, was von vornherein im Vergleich mit den meisten ausländischen Einrichtungen sehr nachteilig ist. Von den dort herrschenden Betreuungsrelationen kann Österreich nur träumen.

Zugang zum Bachelorstudium für alle, aber strenge Auswahl der Master- und Doktor-Anwärter - ist das ein denkbarer Kompromiss?

Ein Kompromiss ja, aber kein guter. Die Universität zerfiele im Grunde in zwei Einrichtungen, in eine offene Fachhochschule, in der nicht forschungsorientiert nach rein schulischen Gesichtspunkten unterrichtet wird, und in eine Universität, die allein noch im Master- und Doktoratsbereich ihrer alten Idee folgen kann, nämlich mit der Lehre forschungsnah zu sein. Dazu sollte es nicht kommen. Tatsächlich bedarf es aus Qualitätsgründen allgemeiner Zugangsregelungen, die man ja nicht als Zugangsbeschränkungen verstehen muss, sondern als einen institutionellen Anlass, der für Studienbewerber deutlich werden lässt, wofür er oder sie geeignet sind und wofür nicht.

Österreich muss höllisch aufpassen, dass ihm in der internationalen Entwicklung, und die ist heute immer einzubeziehen, nicht die Regie über die eigene Qualitätsentwicklung entgleitet. Wenn unter dem Gesichtspunkt eines freien Zugangs alle diejenigen aus Europa ihren Weg nach Österreich fänden, die andernorts unter leistungsorientierten Gesichtspunkten keinen Platz gefunden haben, wäre das verheerend für die österreichische Universitätsentwicklung. Viele Politiker haben offenbar noch gar nicht begriffen, dass es in erster Linie darum gehen muss, Qualität zu sichern und zu steigern. Ohne diese ist auch der sogenannte freie Zugang nichts. Ich verstehe den Nationalratsbeschluss nicht.

Was sind Ihre drei dringendsten Wünsche an Politik und Öffentlichkeit?

Ich hoffe, dass man sich, wenn sich erst einmal der Pulverdampf verzogen hat, noch einmal über die Studienbeiträge, mehr noch über Zugangsregelungen Gedanken macht. Wenn es darum geht, die Qualität in Österreich zu sichern, sie zu steigern, einzelne Plätze in Österreich zu exzellenten Plätzen zu machen, dann kommt man darum gar nicht herum.

Zweitens wünsche ich mir, dass der Prozess, den das UG 2002 eingeleitet hat, weiterhin einen positiven Verlauf nimmt, und drittens, dass der Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) wirklich in die Lage versetzt wird, etwa über die Auslobung von Exzellenz-Clustern und die Einführung von Overheads, die Exzellenzentwicklung in der österreichischen Wissenschaft wirkungsvoll zu befördern.