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Um die Beurteilung der vor genau einem Jahr über Österreich verhängten EU-Sanktionen ging es in einer gestrigen Debatte im Nationalrat. Die Oppositionsparteien nutzten die Gelegenheit, um Kritik an der Bundesregierung zu üben.
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Die Verhängung der EU-Sanktionen vor exakt einem Jahr war gestern Thema einer Rede von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel vor dem Nationalrat. Damals hätte ihn der portugiesische Außenminister Jaime Gama auf den Handy angerufen und ihn über die bevorstehenden Maßnahmen informiert, erinnerte sich der Bundeskanzler. Er sei "geschockt" gewesen, denn so etwas habe es in der EU zuvor nicht gegeben und es sei zu hoffen, dass ein solcher, "zutiefst anti-europäischer Vorstoß" nie wieder vorkomme. "Das Land als Ganzes" habe unter den Sanktionen gelitten. In Richtung Opposition meinte Schüssel, die Einnahme einer "entschlossenen Haltung, das ganze Land zu verteidigen", habe "bei manchen länger gedauert".
Resultate von Nizza
Dann ging Schüssel auf die Resultate der EU-Regierungskonferenz von Nizza aus heutiger Sicht ein: Dort habe Österreich gemeinsam mit Belgien ein Frühwarnsystem durchgesetzt, das die Zustimmung des Europäischen Parlaments, die Anhörung des eventuell von Sanktionen betroffenen Staates und eine Überprüfung durch den Europäischen Gerichtshof verbindlich vorsehe. Dank richtete Schüssel an die Franzosen, "die die Größe gehabt haben, die Sanktionen in ihrer Präsidentschaft aufzuheben". Erkenntlich zeigte sich der Kanzler auch gegenüber prominenten Sozialdemokraten, wie Jacques Delors und Helmut Schmidt, die sich von Anfang an gegen die Sanktionen ausgesprochen hätten.
"Wir sind europäischer geworden" begegnete Schüssel den Vorwürfen, Österreich habe sich in der letzten Zeit von Europa entfernt. Sichtbarer Ausdruck dafür seien die Beseitigung der Sparbuchanonymität und die Budgetkonsolidierung. Dafür werde Österreich von der EU sogar ausdrücklich Lob gezollt.
Gusenbauer kritisch
SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer beurteilte die Angelegenheit etwas kritischer. Konkret warf er Schüssel vor, den "Weisenbericht" in seinern Ausführungen nicht berücksichtigt zu haben. Dieser deute auf einen "politischen Charakter" des Koalitionspartners hin, der sich in den letzten Monaten "zum Negativen" verändert habe. Weiters kritisierte der SPÖ-Chef, dass die Regierung "Feindbilder" aufbaue, um "mehrere Probleme zu verdecken". So werde verbreitet, dass die EU den österreichischen Wasservorrat bedrohe, andererseits würde durch den Verkauf der Bundesforste eben diese Gefährdung herbeigeführt.
Kritik an der Regierungsbildung vor einem Jahr kam dann vom Bundessprecher der Grünen, Alexander Van der Bellen. Er warf der Regierung vor, nichts aus dem Weisenbericht gelernt zu haben. Denn nach wie vor gebe es "Klagswellen" und nach wie vor werde versucht, den ORF einzuschüchtern. In Richtung ÖVP meinte der Grüne, diese sei mit einer Partei in Koalition, in der Unverständnis über die Verurteilung von Hans Jörg Schimanek geäußert werde. Dabei habe Schimanek an "eindeutig neonationalsozialistischen" Wehrsportübungen" teilgenommen.
"Völkerrechtlich bedenklich"
Mittlerweile hat auch der Präsident des Verfassungsgerichtshofes, Ludwig Adamovich, zu den aufgehobenen Sanktionen der EU Stellung genommen. Diese seien "völkerrechtlich bedenklich" gewesen, meinte er gestern in einem Vortrag vor der Grazer Juristischen Gesellschaft. Auch die im "Weisenbericht" gegen Justizminister Böhmdorfer gerichteten Vorwürfe seien "zu streng", da sie gegen ein früheres Verhalten gerichtet seien. Ein entscheidendes Problem der Sanktionen liege darin, dass nicht "die Andeutung einer Begründung" gegeben worden sei.