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Österreich viertgrößter Investor

Von Rudolf Bretschneider

Politik

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Kaum jemand hat ihn vorausgesehen: den "Triumph des Unerwarteten", die mehr oder weniger sanften Revolutionen von 1989. Für den Historiker Hobsbawn markiert er das Ende des "kurzen Jahrhunderts"; und tatsächlich hat dieses Ereignis das Bild der Welt verändert; nicht nur das Erscheinungsbild Europas, das am 1. Mai 2004 ehemalige Ostblockländer als neue EU-Mitglieder begrüßen wird.

Anfangs waren alle überrascht. Hüben und drüben. Offen gestanden viele ein, nicht vorbereitet (gewesen) zu sein: nicht die Diplomaten, nicht die Politiker, nicht die Wissenschaftler; auch bei den Kommentatoren machte sich - eine zeitlang - Verlegenheit breit. An den geräuschlosen schnellen Verfall des Kommunismus hatten nur die wenigsten geglaubt. Die Analysen von gestern waren über Nacht obsolet geworden. Ratlosigkeit dominierte: Wie macht man aus Planwirtschaften rasch marktwirtschaftliche Systeme? (Ungarische Version: wie macht man aus einer Fischsuppe ein Aquarium?)

14 Jahre später existieren in den Beitrittsländern Marktwirtschaften. Man sieht, wenn man die neuen EU-Länder bereist oder sie in ihrer Entwicklung beobachtet, auch die Früchte: nicht in allen Landesteilen, aber in immer mehr. Die Städte sind lebendig, es wird gebaut und renoviert, Geschäfte und Restaurants überall, Werbung, Verkehrsstaus, Handys in der Öffentlichkeit, Touristenströme in alle Richtungen, Super- und Hypermarkets, Stress, sichtbarer Luxus und fühlbare Armut, die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen im Nebeneinander der Lebensstile...

Während politische Exponenten viel Zeit damit verbrachten, die eigene Überraschung und Überforderung durch die neue Situation (nach 1989) zu konstatieren, reagierten viele Firmen rasch. Man gründete Joint-Ventures oder Tochterfirmen - oft ohne "Publicity", aber mit großer Geschwindigkeit; teilweise konnte man auf Kontakten und Vorarbeiten aufbauen. Öl-, Papier-, Waschmittelindustrie, Brauereien und Baumärkte, Medienhäuser, Handelsketten und Spezialgeschäfte, Banken und Versicherungen, Telecom- und IT-Unternehmen, Marktforscher, Wirtschaftsprüfer und Berater aller Art machten sich auf den - vielfach höchst erfolgreichen - Weg zu den neuen Nachbarn.

Heute ist Österreich der viertgrößte Investor in der Region. Und das, obwohl Wirtschaftsriesen aus Europa und Übersee diesen Wirtschaftsraum ebenfalls entdeckt haben und oft "groß einsteigen".

Geholfen hat den von Österreich aus operierenden Firmen - großen und kleinen - das hierzulande verfügbare Wissen. Viele Institutionen - von Nationalbank bis WIFO, WIIW, IHS, WKO, IDM -, viele Universitätsinstitute, Marktforscher und Bankanalysten haben für Know-how-Wachstum gesorgt; in hunderten Tagungen und Symposien erleichterte man den Wissenstransfer. Viele österreichische Medien haben relativ intensiv über die Entwicklungen informiert. Freilich - es ist immer zu wenig; aber die lokalen Bemühungen ermöglichten einen relativen Vorteil für Unternehmen, die bei und mit den neuen Nachbarn tätig werden wollten. Das Resultat ist - nehmt alles nur in allem - höchst eindrucksvoll. Österreich hat durch die "Ostöffnung" gewonnen. Nicht nur wirtschaftlich. Österreich wird von der EU-Erweiterung profitieren. In vieler Hinsicht.

Die Nachbarn kommen uns auch innerlich näher. Das zeigen sozialwissenschaftliche Studien (Fessel-GfK 2000/2003). Daran hat auch die Wirtschaftsverflechtung ihren Anteil. Schließlich muss man die Anderen verstehen, wenn man mit Kunden/Lieferanten erfolgreiche Beziehungen haben will. Vielleicht war es höchst vernünftig "mit der Wirtschaft zu beginnen."

Dr. Rudolf Bretschneider ist Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts Fessel+Gfk