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Die Politik ist marktorientierter geworden, und Österreichs Präsidialdemokratie steht auf dem Prüfstand. Das war der Grundtenor der vom Bundespressedienst (BPD) veranstalteten Diskussion zum Thema | "Quo vadis Austria?" mit ausländischen Journalisten am Montagabend im Wiener Palais Ferstel.
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Vom Nachkriegsparlamentarismus hat sich Österreich seit der Nationalratswahl am 3. Oktober verabschiedet. Von einer von "außerordentlicher Stabilität" geprägten Phase · dank der
Sozialpartnerschaft der Verbände und des von den bisherigen Großparteien SPÖ und ÖVP praktizierten Proporzes · habe sich Österreich zu einem Drei-Parteien-System hin entwickelt, stellte der
Politologe Emmerich Tálos fest. "Österreich war immer so kuschelig." Jetzt breche aber vieles auf. Der Veränderungsprozess sei jedoch nicht auf eine Person, sprich: FPÖ-Chef Jörg Haider, reduzierbar.
Nach den Reaktionen auf das Wahlergebnis zu schließen, haben das Ausland offenbar früher als Österreich erkannt, dass die FPÖ eine potenzielle Regierungspartei sei, so der Journalist Michael Frank,
Österreich-Korrespondent der "Süddeutschen Zeitung". Von wegen "Ausgrenzung" · ein Zustand, den sich die FPÖ in der Vergangenheit gerne selbst zuschrieb. "In einer parlamentarischen Demokratie
sind nun einmal die einen dran und die anderen nicht", so Frank.
Die österreichischen Wähler "sind mobiler geworden". Tálos siedelt den Anteil der Wechselwähler bei 15 bis 20 Prozent an. Während rund 60 Prozent der Bevölkerung "möchte, dass es so bleibt, wie es
war", strebe der andere Teil nach Erneuerung. "Der Hölle der Langeweile entfliehen, ohne spezifisches Ziel", vergleicht Helene Karmasin vom Institut für Motivforschung dieses entpolitisierte
Wählerverhalten mit dem Ansatz des Marktes. Vom Golf zum Audi also. Die FPÖ vermittle weniger Neuerungskonzepte als vielmehr Neuerungsgefühl, lautet Karmasins Analyse der Wählerpsychologie. Weitere
Gründe für den Wählerzustrom zur FPÖ sind die Rhetorik und die verkörperte Ausstrahlung ihres Obmannes: Virilität. Denn politische Veränderung folge nicht der Logik, waren die Diskutanten einig.
"Wenn die SP-VP-Regierung die Ausländer-Problematik nach dem Fall des Eisernen Vorhangs nicht verschlafen hätte, wäre ein derartiger Aufstieg der FPÖ nicht möglich gewesen", stellte Anneliese Rohrer
von der "Presse" fest. "Wer nur Probleme verwaltet, wird die Lösung anderen überlassen müssen", so Emmerich Tálos. Er prognostiziert als wahrscheinlichste Regierungsform aufgrund der
"Interessenkonstellation" eine Koalition der ÖVP mit der FPÖ. Michael Frank vermisst in Österreich "Verfassungspatrioten". Derzeit spiele das Parlament keine Rolle bei der Regierungsbildung. Aber:
"Die Politik gehört in den Raum, wo sie stattfindet, nämlich ins Parlament", appellierte Frank. Aufwerten würde die Länderkammer nach Ansicht von Anneliese Rohrer eine Allparteienkoalition, wobei der
Bundespräsident · gemäß einer ihm laut Verfassung zustehenden Kompetenz · "das Personal austauschen sollte". Die Österreicher sollten sich vergegenwärtigen, so Frank, ob sie eine Präsidialdemokratie
so wollten.