In der Welthandelsorganisation (WTO) gilt das "Lock-in"-Prinzip, das heißt: Einmal gemachte Zugeständnisse für Liberalisierung oder Privatisierung können nicht mehr rückgängig gemacht werden. Doch eben vor diesem Problem steht Österreich. Denn jetzt sollen einst getätigte Liberalisierungsversprechungen bei der öffentlichen Versorgung wieder rückgängig gemacht werden. Die EU hat das Mandat, diese schwierige Materie für Österreich in der WTO zu verhandeln, doch bisher ist sie bei den anderen Mitgliedern auf Granit gestoßen. Österreich wird Kompensationsangebote machen müssen.
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"Österreich hat vor 10 Jahren aufs falsche Pferd gesetzt und muss nun die Konsequenzen ausbaden," erklärt Elisabeth Türk, Juristin im Center for International Environmental Law (CIEL), einer nicht profitorientierten US-Anwaltskanzlei, gestern am Rande einer Veranstaltung in Wien. Denn damals hätten die heimischen Verhandler in der WTO weitreichendere Zugeständnisse für die öffentlichen Sektoren Bildung, Gesundheit, Wasserver- und Abwasserentsorgung sowie Müllbeseitigung gemacht als die EU-12. Nach dem Beitritt erkannte man in Österreich den Fehler, der bei der jetzigen WTO-Runde, die vom 10. bis 14. September in Cancun/Mexiko stattfindet, ausgemerzt werden soll. Im Wirtschaftsministerium ist man überzeugt, dass die Reparatur dieser Öffnung der öffentlichen Versorgung, also die Rücknahme auf EU-Liberaliserungsstatus, ohne umfangreiche Kompensationen erfolgen kann. Entwicklungs- und Schwellenländer fordern im Gegenzug keine Einwanderungsbeschränkungen für gut qualifizierte Arbeitnehmer. Die Verhandlungen laufen unter dem Schlagwort Personenfreizügigkeit.
In Österreich wird über diesen Lapsus nicht gerne gesprochen. Die Wirtschaftssprecherin der Grünen, Michaela Sburny, befürchtet, dass es mit kleinen Kompromissen nicht getan ist. Für Sburny ist das Missgeschick nicht akzeptierbar, "denn schließlich sind öffentliche Dienstleistungen nicht Waren aller Art, sondern es geht um Versorgungssicherheit und Qualität, die marktwirtschaftlich nicht zu regeln sind."
Die Unumkehrbarkeit von WTO-Vereinbarungen ist so etwas wie ein heiliges Prinzip, werde dieses nun umgestoßen, muss etwas anderes dafür geboten werden, sagt Türk, die die Verhandlungen kennt. Noch dazu hätte die EU die Gespräche schlecht vorbereitet und damit gleich Widerstand anderer Mitglieder provoziert.
Die Juristin beklagt das undurchsichtige Zustandekommen der Entscheidungen der Regierungen, sowie auch in der WTO. Der vorliegende Fall dokumentiere dies, denn er blieb in Österreich weitgehend unbekannt. Auch die Grünen kritisieren den "demokratiepolitisch fragwürdigen Status" der WTO. Durch den Rückbau des Staates werde die Demokratie immer schwächer, stellt Sburny besorgt fest. Denn die WTO habe zwar starke Durchgriffsrechte, ihr fehle aber jegliche demokratische Legitimation.