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"Österreich zu klein für die ÖBB"

Von Hermann Sileitsch und Franz Steinbauer

Reflexionen
"Könnte als Beifahrer sofort einsteigen, aber lenken müsste jemand anderer", so Franz Seiser zur Frage, ob sein Lokführerschein noch gültig ist. Foto: Newald

Eigene Messlatte: Acht von zehn Zügen sollen pünktlich sein. | Vulkanausbruch: Gewinn für die Bahn? | "Wiener Zeitung": Der Vulkanausbruch in Island hat den ÖBB unerwartete Zuwächse bei den Passagieren gebracht. Benennen Sie jetzt zum Dank einen Zug nach dem Vulkan Eyjafjalla? | Franz Seiser: Des einen Leid, des anderen Freud. Man hat gesehen, wie risikoreich das System Luftfahrt ist. Bei der Bahn war besonders erfreulich: Die Mitarbeiter sind über sich hinausgewachsen.


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Teilweise hat es sogar Applaus gegeben, als unsere Leute für die gestrandeten Fahrgäste am Westbahnhof Decken ausgeteilt haben.

Wir haben die Kapazitäten im grenzüberschreitenden Fernverkehr von 35.000 auf 45.000 - also um ein Drittel - erhöht.

Aber zeigt das nicht auch ein gewisses Imageproblem der ÖBB: Dass die Bahn nur die zweite Wahl ist? Dass das Verkehrsmittel nur dann attraktiver wird, wenn andere Optionen wie das Flugzeug wegfallen?

Da muss zwischen dem Personenverkehr und dem Güterverkehr differenziert werden. Bei der Just-in-time-Produktion stellt sich jetzt die Frage, ob es nicht wichtiger ist, ausfallsicher zu liefern. Unter dem Motto: Es dauert vielleicht länger, ist aber planbarer. Beim Personenverkehr hoffe ich, dass die vielen Passagiere, die zusätzlich gefahren sind, sich sagen: Ist auch eine gute Alternative.

Zum Thema Pünktlichkeit, die sich in den vergangenen Monaten wieder verbessert hat: Wo wollen Sie da genau hin? Wie lauten Ihre Ziele?

Im Personen-Fernverkehr wollen wir auf 80 Prozent Pünktlichkeit kommen: Also acht von zehn Zügen. Im Nahverkehr haben wir mit rund 95 Prozent bereits eine Toplage. Aber es geht um mehr: Um Qualität auf der Westbahn. Bei der Südbahn liegen die ÖBB ohnehin gut. Die Priorität ist Pünktlichkeit, aber auch Sauberkeit von Bahnhöfen und Toilettanlagen. Auch die Information von Bahnkunden, was sich in den Kundenbefragungen immer wieder zeigt. Wir haben seit einem Monat ein Projektteam, das aus Spezialisten aus allen betroffenen Unternehmensteilen besteht.

Das Team hat also das Pouvoir, sich alle Dinge anzuschauen, die für Verbesserungen nötig sind?

Ja, das Team macht Vorschläge und trifft Entscheidungen. Wobei die Dinge auch etwas kosten dürfen.

Können Sie konkrete Beispiele dafür nennen?

Es geht zum Beispiel darum, Zuglaufpläne zu verbessern. Oder die Kinderkrankheiten des Railjet unter die Lupe zu nehmen. Es handelt sich auch um viele kleine Maßnahmen vor Ort: Etwa Pünktlichkeitskoordinatoren an den Standorten einzurichten, die Dinge erkennen und umsetzen können. Wir wollen möglichst viele Mitarbeiter einbinden, denn an der Basis weiß man ja, wo die Verbesserungsmöglichkeiten sind.

Wird man mehr Anzeigentafeln einrichten oder mehr Durchsagen machen? Wie wird man vorgehen?

Verbesserte Information ist theoretisch nicht sehr teuer. Es geht aber um die Umsetzung, denn es ist ein komplexes Thema, viele Unternehmensteile müssen hier optimal zusammenspielen. Die Motivation jedes Einzelnen ist sehr wichtig. Ich betone: Bei den ÖBB gibt es sehr viel Potenzial, wir wollen auf unsere Mitarbeiter bauen.

Sie sind Anfang April neu in den Vorstand der ÖBB-Holding eingezogen, im Juni kommt Christian Kern als neuer Bahn-Chef. Wie teilen Sie die Agenden im Vorstand auf?

Ich habe vorläufig die Aufgabengebiete übernommen, die vorher Gustav Poschalko innehatte. Also Absatz - sowohl für den Personenverkehr als auch für den Güterverkehr - plus den strategischen Einkauf. Aber das wird nicht so bleiben. Sobald Christian Kern da ist, beschließen wir eine neue Geschäftseinteilung.

Bei den bis zu 200 Zügen, die die ÖBB unter anderem für ein mögliches Engagement in Bayern kaufen wollen, fällt auf, dass hier die Wartung der Züge ausgelagert wird. Warum?

Das ist eine Falschmeldung. Dabei handelt es sich nur um eine Zusatzoption. Falls Züge aus dem Rahmenvertrag abgerufen werden, steht es der Bahn weiterhin frei, die Wagen selbst zu warten. Aber als Möglichkeit wurde auch die Wartung durch den Zuglieferanten (Siemens, Anm.) festgehalten. Auch ein Gemeinschaftsprojekt ist nach wie vor möglich und eine interessante Variante.

Welche weiteren Expansionsziele hat die Bahn abgesehen von Bayern?

Es gibt viele Möglichkeiten. Österreich ist jedenfalls zu klein für die ÖBB, aber es liegen noch keine Beschlüsse vor. Die Cargo (Rail Cargo Austria, Anm.) macht es vor: Mit den Akquisitionen in Ungarn und Italien sowie den Neugründungen in anderen Nachbarländern.

Sie haben laut ihrem Lebenslauf den Lokführerschein. Wann sind Sie zuletzt mit einer Lok gefahren? Würde Sie das wieder reizen?

Ich könnte als Beifahrer sofort einsteigen, aber lenken müsste jemand, der auch den Steckenkenntnisnachweis hat. Die Berechtigung zum Lokführer habe ich aus meiner Technikerausbildung bei der Bahn, die früher sehr breit angelegt war. Schade, dass das heute nicht mehr so ist. Eine solche Ausbildung hilft einem natürlich, die Abläufe in der Bahn zu verstehen.

Wie gehen Sie damit um, dass Sie nicht die Nummer eins geworden sind, sondern Christian Kern? Zur PersonFranz Seiser wurde per Anfang April in den Vorstand der ÖBB-Holding berufen. Als Vorstandssprecher ist Verbund-Manager Christian Kern designiert, der sein Amt am 7. Juni antreten wird. Von 2004 bis März 2010 hatte Seiser als Geschäftsführer der ÖBB-Werkstätten fungiert. Überhaupt brachte der 52-Jährige sein gesamtes bisheriges Berufsleben bei der Bahn zu: Der gebürtige Niederösterreicher trat 1978 als Fertigungstechniker in die Elektro-Triebwagenabteilung ein (ÖBB Werk Floridsdorf), von 1991 bis 1994 arbeitete er als Produktionsleiter für Fernverkehrszüge (ÖBB Werk Simmering).