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"Österreich zuerst": Revolution von ganz oben?

Von Erhard Fürst

Gastkommentare
© Petra Spiola/ RTR

Die einzige Chance der neuen Regierung ist, durch eine mutige, zukunftsorientierte Reformagenda das Vertrauen wiederzugewinnen.


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Christian Kern hat also Werner Faymann als Bundeskanzler beerbt. Setzen sich in der SPÖ die Vertreter der Willkommenskultur durch? Würde FPÖ-Kandidat Norbert Hofer eine Präsidialdiktatur installieren? Gibt es 2017 Neuwahlen? Kommen Registrierkassen bei Feuerwehrfesten? TTIP? Nein danke, intransparent, Chlorhendln, Genmais.

Gleichzeitig fällt Österreich wirtschaftlich gegenüber anderen EU-Staaten zurück, ausländische Investoren meiden zunehmend den "absandelnden", bürokratisierten, reformresistenten Wirtschafts- und Industriestandort, die Arbeitslosigkeit steigt. Der Niedergang von ÖVP und SPÖ hat entscheidend mit dieser schleichenden Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation zu tun. Bürger reagieren nicht nur in Österreich heftig auf eine nachhaltige Gefährdung ihres Wohlstands und der Zukunftschancen ihrer Kinder. Die Beendigung der Willkommenspolitik wurde dagegen als notwendig, um nicht zu sagen selbstverständlich, betrachtet und der Regierung auch nicht mehr besonders angerechnet.

Die einzige Chance der neuen Regierung ist, durch eine mutige, zukunftsorientierte Reformagenda das Vertrauen der Bürger und internationalen Investoren wiederzugewinnen. Es geht dabei nicht um traditionelle "Wirtschaftsankurbelung" durch mehr öffentliche Wohn- und Verkehrsinvestitionen und Förderungen aller Art, sondern um ein zentrales Zukunftsprojekt zur Steigerung des längerfristigen Wachstumspotenzials der Wirtschaft und der sozialen Mobilität der Bürger. Die Hebel sind bekannt: Bildung und Qualifikation, Forschung und Innovation, Bürokratieabbau, Staatsreform, Arbeitsmarktflexibilität, Verstärkung der Internationalisierung, intelligente Infrastruktur. Insbesondere gilt es, ein nationales Projekt für die frühzeitige Bewältigung der digitalen Revolution aufzusetzen. Eine glaubhafte Reformagenda schafft Aufbruchsstimmung und Zukunftsvertrauen und gibt dem provinziellen "Österreich zuerst" der FPÖ einen neuen Sinn und Spin.

Ist es mit einem neuen Kanzler getan? Nein, es muss auch Veränderungen auf Ministerebene geben. Standortpolitik ist eine Querschnittsmaterie, sie fordert alle Ressorts, um Österreich wirtschaftlich zukunftsfest zu machen und das finanzielle Fundament des Sozialsystems zu sichern. Dieses Projekt muss von vornherein ein gemeinsames sein. Genau das Gegenteil zeichnet sich ab. Jede der beiden Parteien kapselt sich ab und arbeitet an ihren eigenen Zielen und Inhalten. Treffen die beiden Programme später aufeinander, ist Wahlkampf angesagt.

Warum können der neue Kanzler und der Vizekanzler nicht gemeinsam in einem "revolutionären" Akt die Initiative ergreifen und eine kleine, unabhängige Expertengruppe mit der Ausarbeitung eines Aktionsplanes beauftragen? Die Unterstützung der Medien und der Bürger gegen die Reformverhinderungsgewinnler wäre ihnen sicher. Konzepte für Strukturreformen gibt es genug. Man denke an die Vorschläge der Professoren Karl Aiginger, Christian Keuschnigg, Bernhard Felderer, des Rechnungshofpräsidenten Josef Moser oder das viel zu wenig gewürdigte Bildungskonzept der Industriellenvereinigung.