WU-Rekor Badelt: "Mehr soziale Durchmischung an Unis durch Zugangsregeln, Studiengebühren und Gesamtschule."
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Wien. Wird Bildung in Österreich doch nicht vererbt? Ist es um die soziale Durchmischung an den Hochschulen gar nicht so schlecht bestellt? Diese Fragen wirft die kürzlich präsentierte Eurostudent-Studie auf. Diese besagt, dass in Österreich im Vergleich zu anderen europäischen Ländern wenige Studierende aus Akademikerhaushalten kommen. Demnach hat nur ein Drittel der Studierenden Eltern mit Hochschulabschluss - in Deutschland sind es fast dreimal so viele.
"Hier wurden falsche Zahlen verglichen"
Doch der Vergleich hinkt: 20 Prozent der deutschen Akademiker gelten in Österreich nicht als Akademiker, da sie "nur" eine Lehre mit Meistertitel absolviert haben. Insgesamt leben in Österreich weniger Akademiker, die Zahlen müssen daher in Relation betrachtet werden. "Hier ist die falsche Zahl zum Vergleich herangezogen worden", sagt Jakob Hartl vom Institut für Höhere Studien (IHS).
Sein Fazit: "Die soziale Reproduktion über die letzten 25 Jahre ist ungebrochen. Die bildungsferne Schicht ist an den österreichischen Hochschulen nach wie vor unterrepräsentiert, die der Akademiker stark überrepräsentiert." Die Chancen auf ein Hochschulstudium sind in Österreich rund dreimal so hoch, wenn die Eltern einen Hochschulabschluss oder die Matura haben.
Mehr Akademikerkinder nach Zugangsregeln
Wie sich Zugangsregeln auf die soziale Zusammensetzung an den Unis auswirken, hat eine Studie der Arbeiterkammer Wien untersucht. Die AK-Studie kommt zu dem Ergebnis, dass seit der Einführung von Zugangsregeln die Zahl der Akademikerkinder an den Unis gestiegen ist.
Hier wurden "die falschen Fragen gestellt", meint Christoph Badelt, Rektor der Wirtschaftsuniversität Wien: "Es ist nicht relevant, wer zum Studium zugelassen wird, sondern wer das Studium absolviert. Es ist empirisch belegt, dass sozial Schwächere im Laufe des Studiums eher herausfallen." Der WU-Rektor vermutet, die Arbeiterkammer wollte mit der Studie Stimmung gegen neue Zugangsregeln machen, die Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) derzeit mit der SPÖ verhandelt.
Alte Studie, neu präsentiert
Tatsächlich fragt man sich, warum die Studie, die bereits 2013 konzipiert und 2014 fertiggestellt wurde, ausgerechnet jetzt präsentiert wurde? Die Studie sei bereits vorgestellt, anlässlich der AK-Tagung lediglich nochmals präsentiert worden, sagt Studienautorin Anna Palienko. Den Vorwurf des politischen Taktierens weist sie zurück.
Fakt ist: An den Unis ist die Nachfrage höher als die verfügbaren Studienplätze. Das führt laut Badelt dazu, dass "darwinistisch ausgesiebt" wird, daher sei der freie Hochschulzugang "paradox und destruktiv". Der WU-Rektor betont, dass Länder wie Großbritannien oder die USA, die immer schon Zugangsregeln hatten, eine sozial bessere Durchmischung haben als Österreich.
Badelt will Zugangsregeln in Medizin, Wirtschaft und Jus
Wo bräuchte es Zugangsregeln? "Überall, wo die Kapazitäten zu klein sind", so Badelt, und nennt Medizin, Wirtschaft und Jus. An den meisten Fachhochschulen (FH), an denen die soziale Durchmischung traditionell höher ist als an den Universitäten, gibt es Aufnahmeverfahren. Für Badelt ist das der Beweis dafür, dass Zugangsregeln die soziale Durchmischung nicht verhindern.
Dass an den FHs mehr Akademikerkinder studieren, liege vielmehr an deren "Willkommenspolitik" und daran, dass sie weniger elitär anmuten als die Unis, glaubt Palienko. Außerdem wird das FH-Studium oft berufsbegleitend angeboten und ist für jene, die aus weniger gut situiertem Elternhaus kommen und parallel zum Studium arbeiten müssen, eher bewältigbar.
Ob an Unis, FHs oder Pädagogischen Hochschulen: Insgesamt kommen nur 17 Prozent der Studenten aus Arbeiterfamilien. "Dass es um die soziale Durchmischung an den Unis schlecht bestellt ist, wird immer wieder empirisch beweisen", sagt Badelt.
Wo bleiben bildungspolitische Konsequenzen?
"Mich ärgert, dass immer noch keine bildungspolitischen Konsequenzen gefolgt sind." Neben Zugangsregeln spricht er sich für eine gemeinsame Schule für 10- bis 14-Jährige aus und sagt: "Wir brauchen eine große Bildungsreform, die das Hochschul- und das Sekundarschulsystem gemeinsam betrachtet und den Kindergarten miteinbezieht. Hier werden mit der Sprachförderung wichtige Grundlagen gelegt. Irgendwann muss man bildungspolitisch zur Kenntnis nehmen, dass ein Kind, das türkisch oder serbisch spricht, deswegen nicht weniger intelligent ist."
Sollen Kindergartenpädagogen deshalb an der Uni ausgebildet werden, wie in den meisten europäischen Ländern auch? "Von der Tendenz her ja", sagt Badelt. Es sei vor allem ein Zeichen der Symbolik, welche Ausbildung Menschen zukommt. "Wir wissen, wie wichtig die Entwicklung von Kindern in den ersten Lebensjahren ist. Da frage ich mich schon, warum Pädagogen, die mit Kleinkindern arbeiten, formal niedrigere Qualifikationen erhalten und weniger bezahlt werden als jene, die mit 17-Jährigen arbeiten."
"Studiengebühren bringen mehr Vorteile als Nachteile"
"Studiengebühren bringen mehr Vorteile als Nachteile - wenn sie von einer offensiven Stipendienpolitik begleitet werden. Studierende müssen von dem Stipendium leben können", sagt der Rektor der WU.
Die Hochschülerschaft (ÖH) sieht sich durch die AK-Studie darin bestätigt, dass Uni-Zugangsbeschränkungen zu weniger sozialer Durchmischung führen. Auf lange Sicht würden Kinder von Nicht-Akademikern vom Studieren abgehalten. Die Universitätenkonferenz will die Studie einer "differenzierten und gründlichen" Analyse unterziehen.
Zugangsregeln wurden in Österreich infolge eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs im Jahr 2005 eingeführt. Die AK-Studie untersucht die soziale Zusammensetzung der Studienanfänger beziehungsweise der Studenten vor und nach der Implementierung und zeigt, dass mit den eingeführten Zugangsregeln in Medizin, Veterinärmedizin, Psychologie, Publizistik und Biologie der Anteil von Akademikerkindern angestiegen ist. Die 2013 eingeführten "neuen" Zugangsbeschränkungen in Architektur, Biologie, Pharmazie, Informatik und Wirtschaftswissenschaften wurden noch nicht berücksichtigt. Eine Evaluierung des IHS war zuletzt jedoch zum Schluss gekommen, dass sich die soziale Zusammensetzung der Studienanfänger nicht verändert hat.
Für die Eurostudent-Studie wurde die Studierenden-Sozialerhebung 2011, Beobachtungszeitraum 1990/91 bis 2010/11.