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Österreichische Forschungsstelle für Nachkriegsjustiz konstituiert

Von Rainer Mayerhofer

Politik

Wien · Bei der konstituierenden Sitzung der Zentralen österreichischen Forschungsstelle für Nachkriegsjustiz im Österreichischen Staatsarchiv wurde Montag bekannt, daß Altbundeskanzler | Franz Vranitzky Vorsitzender des Kuratoriums wird.


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Dem Kuratorium gehören weiters der Zeithistoriker Univ.-Prof. Gerhard Jagschitz, Sektionschef Roland Miklau vom Justizministerium, der Generaldirektor des Staatsarchivs Lorenz Mikoletzky,

DÖW-Leiter Wolfgang Neugebauer und die Historiker Henry Rousso (Paris), C.F. Rüter (Amsterdam) und Peter Steinbach (Berlin) an. Die wissenschaftliche Leitung obliegt den DÖW-Mitarbeitern Winfried

Garscha und Claudia Kuretsidis-Haider, die sich schon bisher ausführlich mit dem Thema beschäftigt haben.

Zweck der Forschungsstelle, die in Kooperation von Staatsarchiv und Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW) geführt wird, ist es, an einem zentralen Ort jene Akten zu

dokumentieren, die zur Erforschung der gerichtlichen Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen in Österreich dienen, sagte Garscha. Die Forschungsstelle werde kein Aufbewahrungsort von Akten, sondern

ein Ort des Wissens über die Akten werden. Unabhängig vom Ausgang der Verfahren stellen die Gerichtsakten über NS-Verfahren eine einmalige historische Quelle dar, die wegen der mangelnden

Erschließung bis jetzt aber kaum genutzt werden konnten. Mittelfristig ist deshalb geplant, alle staatsanwaltlichen und richterlichen Untersuchungen zu NS-Verbrechen zu erfassen und nach den

untersuchten Verbrechen und Tatorten auszuwerten.

Kuretsidis-Haider wies darauf hin, daß einige Gerichtsakten die einzige Quelle über bestimmte Lager sind und verwies auf die sogenannten Engerauer-Prozesse über NS-Verbrechen an Juden im Lager

Engerau bei Preßburg.

Justizminister Michalek betonte die Bedeutung dieser künftigen Einrichtung für die Arbeit der Historikerkommission. Es sei fünf Jahrzehnte nach dem Ende der NS-Schreckensherrschaft an der

Zeit, die Aktenbestände der Nachkriegsjustiz mit Bezug zu den NS-Verbrechen nicht nur zu sichern, sondern auch für die zeitgeschichtliche Forschung an zentraler Stelle zugänglich zu machen. Das

Justizministerium werde die Bemühungen um die Auswertung der Nachkriegsprozesse durch Historiker weiterhin unterstützen. In den Arbeiten des DÖW-Forscherteams sieht Michalek Gewähr dafür, daß die

Objektivität der historischen Darstellung gesichert ist.

DÖW-Leiter Wolfgang Neugebauer sagte, die österreichische Justiz habe unmittelbar nach 1945 auch im internationalen Vergleich vorbildlich an der Aufarbeitung der NS-Verbrechen mitgewirkt · so seien

zwischen 1945 und 1955 bundesweit 136.829 gerichtliche Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, 13.607 Schuldsprüche wurden gefällt. Später sei diese Entwicklung erlahmt, Mitte der 70er Jahre völlig

zum Stillstand gekommen. Nun breche eine neue Generation mit dieser "de facto-Amnestie". Die Forschungsstelle, aber auch die Historikerkommission seien Ausdruck zur Bereitschaft einer politischen

Aufarbeitung der NS-Verbrechen.