+++ Gewerkschafter und Minister tagen zeitgleich in Villach.
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Villach. Von der grundlegenden Bedeutung der Sozialpartnerschaft in Österreichs politischem Leben und den dazu gehörenden Ritualen konnten sich am Freitag rund 400 Tagungsteilnehmer aus ganz Europa in Villach überzeugen.
Während die EU-Arbeits- und Sozialminister ihre am Donnerstag begonnene Tagung mit einer Arbeitssitzung zum Thema Flexibilisierung der Arbeitsmärkte fortsetzten, trafen sich am anderen Ufer der Drau in der Arbeiterkammer Gewerkschafter.
"Sozialabbau"
Das Treffen lief nicht ohne Emotionen ab. Debattiert wurde der Inhalt einer ÖGB-Denkschrift, in der es heißt, die in den vergangenen Jahren in der EU umgesetzten Deregulierungs- und Liberalisierungsmaßnahmen hätten zum Verlust von Arbeitsplätzen sowie zu Verschlechterungen der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen geführt. Nutznießer seien vor allem multinationale Unternehmen gewesen, die trotz steigender Gewinne "in großem Stil Arbeitsplätze abbauen".
Intern heftig gestritten wurde über die von der EU geplante Dienstleistungsrichtlinie, die am 14. und 15. Februar auch Thema im EU-Parlament sein wird. Das der Richtlinie zugrunde liegende Ursprungsland-Prinzip besagt, dass Unternehmer aus Billiglohn-Ländern zu den in ihrer Heimat geltenden Konditionen etwa in Österreich tätig sein können. Zu diesem Thema erläuterte SPÖ-Europaparlamentarier Harald Ettl, das Ursprungsland-Prinzip solle "weitgehend neutralisiert" werden. Darin seien sich Sozialdemokraten, Europäische Volkspartei und die Grünen inzwischen einig. So solle das Arbeitsrecht und somit auch das Kollektivvertragsrecht aus den Richtlinien herausfallen.
Harmonie über der Drau
Diese Ankündigung ging aber vielen Teilnehmern der Gewerkschaftstagung zu wenig weit, sie forderten vehement eine komplette Verhinderung der in der jetzigen Form geplanten Dienstleistungsrichtlinien. Die Rede des früheren österreichischen Sozialminieters wurde mit Pfiffen bedacht.
Schließlich wurden zu beiden Seiten der Drau die Sitzungen beendet, um eine Annäherung in der Mitte vorzunehmen: In harmonischer und von Einigkeit über ein "soziales Europa" getragenen Stimmung übergab die ÖGB-Spitze auf der Fußgängerbrücke den Ministern Martin Bartenstein und Ursula Haubner ein Memorandum mit dem Titel "Arbeit - Gerechtigkeit - Solidarität". Bei strahlendem Sonnenschein versicherten sowohl ÖGB-Chef Fritz Verzetnitsch als auch Arbeitsminister Martin Bartenstein, für ein soziales Europa eintreten zu wollen. Beide Seiten lobten das gute Klima, in dem die Gespräche verlaufen seien.
Der Gang der ÖGB-Spitze zur Draubrücke wurde allerdings von einer lautstarken Demonstration hunderter Gewerkschafter begleitet. Im Einsatz waren Transparente, Fahnen, Trillerpfeifen und ein rund 15 Meter langer und von jungen Leuten getragener Stoffdrache mit der Aufschrift: "Wir laufen Sturm gegen den Sozialabbauwurm".
Stichwort: Arbeitslose in Europa
(chz) "Mehr und bessere Arbeitsplätze" fordert der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) in seinem Memorandum, das eine Delegation unter der Führung von ÖGB-Chef Fritz Verzetnitsch am Freitag in Villach den EU-Ministern übergab.
Europa brauche eine "neue gesamtwirtschaftliche Strategie für Wachstum", denn nur wenn die Binnennachfrage angekurbelt wird, würde es auch mehr Arbeitsplätze geben, heißt es in dem Text.
Derzeit sind laut dem Europäischen Amt für Statistik (Eurostat) 19 Millionen Personen als arbeitslos gemeldet. "Alle Personen, die bei den Arbeitsmarktstellen ihres jeweiligen Landes als suchend registriert sind, scheinen in dieser Zahl auf", erklärt Beate Sprenger, Sprecherin des Arbeitsmarktservice (AMS) gegenüber der "Wiener Zeitung".
Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Bartenstein hatte Ende der Woche erklärt, die Zahl solle bis Jahresende auf unter 18 Millionen sinken.
Der Gewerkschaftsbund bezeichnete die Ziffern als "Zahleninterpretationen": Auch Kommissar Vladimir Spidla habe bestätigt, dass zu den 19 Millionen weitere 13 Millionen kommen würden, die zwar nicht offiziell registriert sind, aber Beschäftigung suchen würden. Hinzu kämen jene, die sich etwa in Schulungen befinden. "Man kann nur schätzen, wie viel tatsächlich auf Arbeitsuche sind", meinte Sprenger.