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Österreichs B(e)-Wertungswandel tut uns gut

Von Franz Witzeling

Gastkommentare
Franz Witzeling ist Psychotherapeut und Soziologe.

Einen Minderwertigkeitskomplex brauchen wir nicht zu bekommen, aber wir haben die Chance, durch Selbsterkenntnis ein neues Image aufzubauen.


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Es war ein harter Schlag! Nachdem sich unsere politisch Verantwortlichen geduckt hatten, die Schuldenbremse einführen wollten und nicht mehr damit rechneten, das AAA zu verlieren, holte die Ratingagentur doch zum entscheidenden Schlag auch gegen Österreich aus. Da half weder der österreichische Charme noch eine herbeigeredete Disziplin, die gerade den aus deutscher Sicht schlampigen Österreichern nicht zugebilligt wurde.

Freundlichkeit und Lächeln mögen sich auf den Gruppenfotos, wenn sich die Mächtigen zusammenstellen, gut machen. Doch was in harten Zeiten zählt, ist letztlich die Kraft der Selbstbehauptung, die man aufbringt, um sich im immer härteren Wettbewerb durchzusetzen. In der Heimat Sigmund Freuds kann man von klassischer Verdrängung sprechen, die in ihrer domestizierten Form bereits zum Stilmittel koalitionärer Politik wurde. Die Zeit der Ausreden und des Herumredens ist vorbei. Den Steuerzahlern geht das schlechte Schauspiel der Politiker an beiden Ohren und anderswo vorbei. Der allgemeine Frust und die weiter schindende Lust, sich an der Politik zu beteiligen, ist der zentrale Treiber der demokratiegefährdenden Politikverdrossenheit.

Vielleicht tut es der österreichischen Seele gut, wenn wir diese kalte Dusche, welche die Deutschen nicht ertragen mussten, als eine gesundende Kneippkur nutzen könnten. Die Österreicher sind Meister darin, den verdrängten Minderwertigkeitskomplex zum Kulturerbe ernennen zu lassen. Jetzt haben sie von den internationalen Ratingagenturen knallhart die Punze bekommen, die sie aus der Sicht der unsentimentalen Pragmatiker verdienen.

Aus der Psychologie kennt man die Methode des Konditionierens, die vielleicht in der Dressur von Lipizzanern und ganz sicher in der Verhaltenstherapie zum Einsatz kommt. Im vorliegenden Kontext stellt sich nur die Frage, ob man sich, um den Identitätsentwicklungsstand mancher Politiker voranzubringen, nicht lieber zu einer kostspieligen klassische Psychotherapie entschließen sollte. Vielleicht auch als Gegenmittel zur Anfälligkeit für Korruption, da man dann weniger Bedarf an vielerlei Arten von Kompensation hätte und den Typ des Politikers bei der Bevölkerung wieder attraktiv machen könnte.

Ja, liebe Österreicher: Wir sind in der Europäischen Union, der eine überwältigender Mehrheit der Österreicher beitreten wollte, wirklich angekommen!

Da gibt es keine Extrawürste mehr, keine liebenswerten Schwindeleien, die mit einem nonchalanten Augenzwinkern weggeschoben werden könnten. Jetzt müssen auch wir den politischen Realitätstest gemeinsam bestehen. Es wäre ungerecht, vor allem unfair den bemühten Politikern gegenüber, wenn man sich, wie man so schön sagt, nur an der Politik abputzt. Das vielen Katholiken bekannte Schuldbekenntnis im "mea culpa" sollte auch uns alle zu einer inneren Einkehr einladen, um einen gemeinsamen Weg aus der Werte- oder Bewertungskrise herauszufinden. "Yes, we can" hat Barack Obama zum Präsidenten gemacht. Vielleicht hilft bei uns aber auch eher die Selbstmotivationsformel: "Wir schaffen es doch!"