Verschärfte EU-Sanktionen gegen Russland treffen die engen Beziehungen zum österreichischen Finanzsektor hart. | Die russischen Geldinstitute VTN und Sberbank haben ihre Europazentrale in Wien.
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Brüssel/Wien/Kiew. Stell’ dir vor, Sanktionen treten in Kraft, aber niemand kennt sich wirklich aus. Am Freitagnachmittag sind die verschärften Sanktionen der EU gegen Russland in Kraft getreten. Sie betreffen erstmals auch staatliche russische Finanzinstitutionen. So wird der Zugang zum europäischen Kapitalmarkt stark eingeschränkt, die russischen Banken dürfen sich auch nicht mehr bei EU-Banken verschulden. Und damit rückt auch Österreich in den Fokus. Denn zwei der größten Banken Russlands, die VTB und die Sberbank, sind von den Sanktionen betroffen. Und beide Banken steuern von Wien aus ihr Europa-Geschäft - mit einer österreichischen Banklizenz. Wie beide Institute darauf reagieren, bleibt unklar. "Kein Kommentar", heißt es sowohl von VTB als auch von Sberbank auf Anfrage der "Wiener Zeitung". Beide Banken weisen Bilanzsummen von mehr als zehn Milliarden Euro aus, machen über Wien aber ein Vielfaches dieser Summe.
Unklar ist auch noch, wie die Sanktionen vom EU-Mitgliedsland Österreich umgesetzt und überwacht werden. Aus der Nationalbank war am Freitag zu hören, dass die Sache sehr kompliziert sei. Sollten russische Banken vom Geldmarkt abgeschnitten werden, sei dies Sache der Nationalbank. Wenn diese Institute aber nachrangige Anleihen oder Aktien begeben, müsse die Finanzmarktaufsicht (FMA) die dazugehörigen Prospekte prüfen - und verbieten. Faktum ist, dass die EU-Verordnung vom Außenministerium der Nationalbank zwecks Umsetzung übergeben wird. Auch die FMA sieht die Nationalbank in der Pflicht, sie habe dabei sogar eine Behörden-Funktion.
Tatsächlich muss Österreich nun überwachen, welche Aktivitäten die russischen Banken in Österreich entfalten. Und Österreich muss auch kontrollieren, welche Geschäfte die österreichischen Banken in Wien mit ihren russischen Kollegen machen. Raiffeisen und Bank Austria sind in Russland tätig, und unterhalten natürlich enge Geschäftsbeziehungen zur VTB und zur Sberbank. Auch die Erste ist mit Sberbank in Verbindung. Denn Sberbank ist mit fast 250 Millionen Kunden, 19.000 Filialen und 240.000 Mitarbeitern die größte Sparkasse der Welt.
Probleme für Wiener Banken
Die traditionell engen Beziehungen zwischen dem österreichischen und russischen Finanzsektor werden jedenfalls durch die EU-Sanktionen empfindlich gestört. Auch wenn deren Auswirkungen noch nicht ganz klar scheinen. "Die RBI beachtet natürlich sämtliche Sanktionen. Wir betrachten jedoch den Mechanismus von Sanktionen und Gegensanktionen als schlecht, da diese für alle involvierten Seiten einen kontraproduktiven Effekt haben", teilte die Raiffeisen-Sprecherin Ingrid Ditz-Krenn der "Wiener Zeitung" mit. "Wir prüfen derzeit die Auswirkungen der erweiterten US-Sanktionen auf unser Geschäft. Das wird aufgrund der komplizierten rechtlichen Materie einige Zeit dauern. In der Zwischenzeit werden wir diesbezüglich einen sehr vorsichtigen Kurs fahren." Die Dividende der Moskauer Tochterbank ist jedenfalls bei der RBI in Wien eingelangt, sie kann nicht mehr unter die Kapitalrestriktionen fallen.
Natürlich sind auch Institute in Italien, Deutschland und Frankreich umfangreich betroffen. Und - so Banken-Insider - es wird erwartet, dass Russland mit Gegenmaßnahmen antwortet und europäische Banken in Russland einschränkt. Dies wäre vor allem für die RBI eine prekäre Situation, mehr als die Hälfte des Konzerngewinns stammt aus Russland.
"Stufe drei" kommt
Die Sanktionen im Bankenbereich könnten aber noch nicht das Ende der Fahnenstange darstellen: Die Botschafter der 28 EU-Staaten haben sich am Freitag grundsätzlich darauf geeinigt, dass die EU-Kommission über das Wochenende mit Hochdruck Wirtschaftssanktionen gegen Russland vorbereiten wird. Die Brüsseler Behörde soll bis Montag Gesetzestexte vorlegen. Bei einer Sitzung kommenden Dienstag wird über das weitere Prozedere und die Abhaltung eines EU-Sondergipfels entschieden. Ob ein solcher nötig ist, ist noch unklar. Möglich könnten auch ein Treffen der Außenminister oder ein Beschluss im schriftlichen Verfahren sein.
Die EU-Granden hatten zuvor lange gezögert, gegen den wichtigen Handelspartner Russland Wirtschaftssanktionen zu verhängen. Nun, nach dem Absturz der malaysischen Boeing und der - nach Ansicht maßgeblicher EU-Politiker - mangelhaften Kooperation Russlands bei der Aufklärung der Ursache des Unglücks in der Ostukraine hat sich das Blatt gewendet. Die Verhängung von Wirtschaftssanktionen, der lange vermiedenen "Stufe drei", der schärfsten Strafmaßnahmen gegen Russland, hatte sich in den letzten Tagen bereits abgezeichnet. Beispielsweise war auch das deutsche Außenamt, dem mit Frank-Walter Steinmeier ein eher russlandfreundlicher sozialdemokratischer Politiker vorsteht, von seinem vermittelnden Kurs abgerückt. Eine Sprecherin des Ministeriums hatte sich in Richtung Russland mit einem "Jetzt reicht es!" recht undiplomatisch geäußert.
Kein Entscheid vor Dienstag
Die Sanktionen sollen folgende vier Bereiche betreffen: Zugang zu Kapitalmärkten, ein Verbot künftiger Waffenexporte, ein Ausfuhrverbot für Hochtechnologieprodukte und Exportbeschränkungen für Spezialtechnologien zur Öl- und Gasförderung. Mit einer Entscheidung vor dem Treffen der EU-Botschafter am Dienstag ist aber nicht zu rechnen. Damit bleibt für Moskau in den nächsten Tagen noch eine gewisse Chance, die Sanktionen zumindest abzumildern. In EU-Ratskreisen hieß es, es gebe einen gewissen Spielraum, der aber von der Entwicklung der nächsten Stunden und Tage abhänge.
Am Donnerstag war von den Botschaftern der EU-Staaten eine Ausweitung der Sanktionenliste um 15 auf nunmehr 87 Personen beschlossen worden. Außerdem wurden 18 Unternehmen und Institutionen auf die Liste gesetzt.