Am liebsten würde die Regierung rotweißrote EU-Abgeordnete, wenn sie daheim auftreten, in Schubhaft nehmen. In akuter Krisenzeit leichtsinnig.
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Die Behandlung österreichischer EU-Abgeordneter durch die Regierung schwankt zwischen Nichtachtung, Abschiebung und Outsourcing. Der ÖVP-Abgeordnete Othmar Karas könnte einen Roman erzählen, wie sein politisches Potenzial dem aufsteigenden, danach aber rapid abgestürzten Rivalen Ernst Strasser geopfert wurde. Der psychologische Zwiespalt zwischen Wien und Brüssel dauert an. Vor wenigen Tagen stand Karas, der inzwischen als Delegationsleiter der VP-Europaabgeordneten rehabilitiert ist, gemeinsam mit Jörg Leichtfried, dem Chef der SPÖ-Europaparlamentarier, in Brüssel auf der Bühne. Das ÖVP-SPÖ-Duo war sich einig, dass die Regierung in Wien den Anforderungen der Europa- und Eurokrise nicht gewachsen sei. "Die Bundesregierung ist nicht in der Lage oder willens, die Dinge zu erklären", wird Leichtfried in der APA zitiert. Die beiden Abgeordneten haben die Sorge, dass im Kielwasser des mangelnden Europa-Engagements der Regierung Populisten unter-wegs sind, die Kapital aus der Schuldenkrise schlagen.
Was Leichtfried da fallen ließ, ist eigentlich starker Tobak für den Parteichef Werner Faymann und die SPÖ-ÖVP-Koalition. Die Vorwürfe haben damit zu tun, dass die beiden Außenkoalitionäre in der Frage, ob man gemeinsam mit dem nervös gewordenen EU-Kommissionspräsidenten Manuel Barroso ein Modell der "Wirtschaftsregierung" für Europa vorantreiben müsse, schon viel weiter sind als die Föderalisten in Wien. "Jetzt muss die Kommission mit konkreten Vorschlägen und mit einer Roadmap zur Wirtschafts- und Sozialunion die EU aus der Krise führen", sagte Karas im EU-Parlament. Europa brauche keine Parallelstrukturen.
Die Wiener Parallelstruktur sieht sich überraschenden Koalitionen mit wechselnden Partnern gegenüber. Im September flatterte Bundeskanzler Werner Faymann und Vizekanzler Michael Spindelegger ein "offener Brief" einer temporären Dreierkoalition aus SPÖ,
ÖVP und Grünen des Europaparlaments auf den Tisch. Leichtfried, Karas und die Grüne Ulrike Lunacek, deren Partei sich in Nachfolge des 2009 abservierten Johannes Voggenhuber sehr "europäisch" profiliert, ersuchen die Regierung, mit ihnen für die Beendigung der sinnlosen Aufsplitterung der EU-Plenarsitzungen zwischen Brüssel und Straßburg zu kämpfen. Die Reaktion aus Wien war null. Auch in anderen Hauptstädten wurde der Appell der EU-Parlamentsmehrheit ignoriert. Folge: Frankreich wird beim Europäischen Gerichtshof seinen egoistischen Standpunkt durchsetzen, dass es beim Wanderzirkus bleibt. Dass dabei jährlich 180 Millionen Euro verpulvert werden, ist aber ein übles Signal für Europäer, die nur noch "sparen, sparen" zu hören bekommen. Die Taubheit in Wien hat wohl auch damit zu tun, dass EU-Abgeordnete parteiüberschreitend mit Karas den Kommissionspräsidenten Barroso zu "mehr Führungsstärke und Willen, seine Autorität gegenüber den Mitgliedsstaaten zu nutzen", auffordern. Ganz so stellt man sich das in Wien offenbar nicht vor.