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Österreichs "Laissez-faire"-Studium wird strukturiert

Von Heike Hausensteiner

Wissen

Zäh, aber doch schreitet die Entwicklung in Österreichs Bildungslandschaft voran. Eine entscheidende Neuerung auf Hochschulebene ist das dreistufige Studiensystem, mit dem ein Schritt in Richtung | Internationalisierung getan werden soll.


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Siebeneinhalb Jahre lang studieren Österreichs angehende Akademiker, tatsächlich beträgt die Mindeststudiendauer in den meisten Fächern vier Jahre. Das ist nichts Neues. Neu ist hingegen, daß

jene, die kürzer studieren wollen, in Hinkunft bereits nach drei bis vier Jahren einen akademischen Abschluß als "Baccalaureaus/Baccalaurea" erwerben können. Eine Änderung des Universitäts-

Studiengesetzes (UniStG) macht's möglich. Positiver Nebeneffekt der Reform wird die Reduzierung der nicht gerade rühmlichen Quote von Studienabbrechern (an die 50 Prozent) sein. Die Novelle soll noch

vor der Sommerpause vom Nationalrat beschlossen werden.

Sofern sich die Änderung im UniStG nicht auf die Einführung eines neuen akademischen Titels beschränke, begrüßt man am Institut für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung (IFF) die Neuerung.

Aber: "Die Form gehört sinnvoll gefüllt" und das Kurzstudium nicht als billiger "Zwischenabschluß" abgetan, betont Hans Pechar im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Nichts wäre überflüssiger als eine

"Oberflächenkosmetik, die vor Eingriffen in die Logik des akademischen Lebens zurückschreckt."

Man könne nicht so tun, als würden alle Studenten das gleiche wollen. Das wäre eine "merkwürdige Vorstellung von Egalität". Jene (insbesondere die anglo-amerikanischen) Länder, die bereits ihr

Studienangebot in "undergratuate"- ("bachelor") und "graduate"-Phasen ("master") differenziert haben, würden den unterschiedlichen Bedürfnissen der zunehmend heterogenen Interessenten eher gerecht,

weiß man am IFF. Die Studiendauer werde dort auch tatsächlich eingehalten.

Dem notwendigen Anspruch der internationalen Vergleichbarkeit der Studienangebote soll mit dem dreigliedrigen System (in Österreich: Bakkalaureat · Magister-Studium · Doktorat) entsprochen werden. Im

Sinn der "Sorbonne-Erklärung" der Bildungsminister Deutschlands, Frankreichs, Italiens und Großbritanniens vom vergangenen Jahr (anläßlich des 800-Jahr-Jubiläums der Pariser Uni) soll die Anerkennung

akademischer Abschlüsse im Ausland, die Mobilität der Studenten und ihre Vermittelbarkeit am Arbeitsmarkt gefördert werden. Von den ursprünglich vorgesehenen englischen Bezeichnungen "Bachelor" und

"Master" hat man hierzulande letztlich (aus Angst vor nationalem Identitätsverlust?) Abstand genommen.

Die Hochschulforscher des IFF sprechen sich unverhohlen für eine stärkere Strukturierung der Studien aus. Damit treten sie der "neurotischen" Argumentation entgegen, das Bakkalaureat bringe eine

zunehmende "Verschulung" der Hochschule. Der Begriff "Verschulung" sei negativ konnotiert. Die Universität habe aber derzeit "eine unterbelichtete Funktion", "die berühmte Freiheit von Forschung und

Lehre wird mißbraucht." Einen Engpaß beim Personal und eine "ausgelaugte" Situation an den Unis ortet Ada Pellert. Im österreichischen Studienbetrieb nach dem Prinzip "Laissez-faire" würden, weiß

Hans Pechar, die Studierenden ihrerseits eine hohe Unverbindlichkeit zeigen. Sodaß sich das System gerade für Studienanfänger in großer Orientierungslosigkeit äußere. Dem müsse die Universität mit

sinnvoll strukturierten Curricula und ausreichenden Betreuungskapazitäten begegnen.

Besteht ein Grund zur Angst vor dem Schmalspurjuristen? Wissenschaftsminister Caspar Einem rechnet damit, daß von den rund 150 Studienrichtungen in Österreich maximal 20 bis 30 Prozent das

Bakkalaureat anbieten werden. Vor allem an der Wirtschaftsuniversität könnte es umgesetzt werden. Damit Studienrichtungen das dreistufige System anbieten können, braucht es eine ministerielle

Verordnung. Die Einführung erfolgt in Form von freiwilligen Pilotprojekten, was am IFF positiv vermerkt wird.

Unklar ist bis dato, ob auch Fachhochschul-Studiengänge das Bakkalaureat anbieten werden. Eine Entscheidung dazu könnte noch im parlamentarischen Wissenschaftsausschuß fallen. Die Frage der A-

Wertigkeit der "baccalaurei" wird im Beamtendienstrecht geregelt werden.

Eine Einstufung nach Qualifikation sollte, nach den Vorstellungen des IFF, die angestrebte Richtung sein.

Zum Kritikpunkt seitens der Wirtschafts-Vertreter, man wisse noch nicht, wie der Arbeitsmarkt auf die neuen Absolventen reagieren werde, gibt das IFF den Ball zurück. "Eine Bedarfserhebung ist nicht

sinnvoll", meint Ada Pellert.

Die Arbeitgeberverbände (Wirtschaftskammer und Industriellen-Vereinigung) müßten "ihre Verantwortung spielen lassen, so Hans Pechar.

"Die Autonomie der Unis macht ein vitales Hochschulwesen möglich." Man müsse Neuerungen ausprobieren, "so passiert Innovation" · und nicht etwa durch jahrelang am Ministerium angesiedelte

Arbeitsgruppen. "Wir befinden uns inmitten eines Innovationsstrudels", so Hans Pechar.