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Österreichs liberalstes Eck

Von Matthias Nagl

Politik

Warum die Neos in Vorarlberg ihr mit Abstand bestes Ergebnis einfuhren.


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Bregenz. Von oben betrachtet wirkt das Klostertal in Vorarlberg wie der optimale Wirkungsraum für die Grünen. Ein malerisches, hochgelegenes Alpental, durchpflügt von einer vielbefahrenen Schnellstraße. Das ist die Umgebung, in der außergewöhnliche grüne Wahlergebnisse entstehen könnten. Doch das Klostertal ist anders.

Die Bewohner wählten bei der Nationalratswahl zwar außergewöhnlich, allerdings hatte es nichts mit den Grünen zu tun. Das Tal, das vom Arlberg in den Vorarlberger Zentralraum führt, ist österreichweit die Hochburg der Neos. In den drei Klostertaler Gemeinden Innerbraz, Klösterle und Dalaas-Wald am Arlberg wurden die Neos auf Anhieb zur stärksten Partei. In Dalaas erreichten sie gar 39,9 Prozent.

Für Christian Gantner, Bürgermeister von Dalaas, ist die Erklärung dafür denkbar einfach: Matthias Strolz, bundesweiter Spitzenkandidat der Neos, stammt aus Wald am Arlberg. Strolz lebt zwar schon seit mehreren Jahren in Wien, ist in seiner Heimat aber nach wie vor gut vernetzt. "Er war bei uns in sehr vielen Vereinen und ist auch jetzt noch zwei-, dreimal im Jahr hier", sagt Bürgermeister Gantner über Strolz.

"Es sind drei recht kleine Gemeinden. Da kennt jeder jeden. Die Leute haben sich wohl gedacht: ,Jetzt kennen wir einmal jemanden, der ganz vorne steht, da wollen wir den auch unterstützen‘", erklärt Gantner.

Das gute Abschneiden im gesamten Bundesland - mit 13 Prozent waren die Neos in Vorarlberg so stark wie sonst nirgends in Österreich - können die gut 500 Stimmen aus dem Klostertal freilich nicht erklären. Dafür muss man der Schnellstraße aus dem Klostertal folgend ein Stück weiter Richtung Bodensee fahren. Dann kommt man ins Rheintal, das gleichermaßen kleinteilige wie urbane Zentrum Vorarlbergs.

Ideales Terrain

Dort liegt der Bezirk Dornbirn mit zwar nur drei Gemeinden, doch Dornbirn ist die größte Stadt Vorarlbergs und Lustenau ist Österreichs größte Marktgemeinde. Die Bewohner darf man sich wie eine Blaupause der Neos-Zielgruppe vorstellen: mobil, international ausgerichtet, überdurchschnittliche Bildung, überdurchschnittliches Einkommen, leistungs- und familienfreundlich. Dort erreichten die Neos 14,1 Prozent, jede vierte Neos-Stimme in Vorarlberg kam aus diesem Bezirk.

Auch dort dürfte Strolz’ Heimvorteil zum Tragen gekommen sein. Als "gutes Fundament" bezeichnet Neos-Landessprecher Gerald Loacker Strolz’ Herkunft. "Es interessiert die Vorarlberger natürlich mehr, wenn ein Vorarlberger eine Partei gründet, als wenn das ein Waldviertler tut", sagt Loacker. Er spricht aber auch die "liberalere Tradition" an, die Vorarlberg im Gegensatz zu anderen Bundesländern besitzt.

So konnten die Neos praktisch von allen Parteien außer der SPÖ wirtschaftsliberale Stimmen abziehen. Auch der Vorarlberger Meinungsforscher Edwin Berndt sieht "starke liberale Tendenzen" in seinem Bundesland. Schon das Liberale Forum schnitt während seiner Zeit im Parlament in Vorarlberg überdurchschnittlich gut ab. Berndt bezeichnet Lustenau als eine "klassische liberale Gemeinde", in der die FPÖ von 1960 bis 2010 mit einem wirtschaftsliberalen Kurs auch den Bürgermeister stellte. Dazu kommt, dass Wahlen zum Nationalrat im fernen Wien in Vorarlberg traditionell nicht die gleiche Bedeutung wie in anderen Bundesländern haben. Das mag die Experimentierfreudigkeit der Wähler erhöhen. Mit 65,7 Prozent hatte Vorarlberg die geringste Wahlbeteiligung aller Bundesländer.

Erfolg in Stadt und Land

Fährt man das Rheintal weiter bis zum Bodensee, kommt man nach Bregenz in die Landeshauptstadt. Auch dort, in der Landespolitik, liegen für Loacker Gründe für den Erfolg der Neos. Einerseits habe sich die ÖVP mit unglücklicher Kandidatenauswahl im urbanen Bereich selbst geschwächt, andererseits wären die Neos auch im ländlichen Bereich erfolgreich gewesen. "Da hat die ÖVP mit ihrer unsachlichen Raumordnungspolitik viele Menschen vergrault, indem sie Gleiches ungleich behandelt hat", sagt Loacker, vor seinem Neos-Engagement selbst jahrelang bei der ÖVP.

Das könnte für die ÖVP, im Land mit einer absoluten Mehrheit ausgestattet, auch in einem Jahr zum Problem werden, wenn in Vorarlberg Landtagswahlen anstehen. Ob die Neos antreten, steht noch nicht fest. Gelingt der Antritt, "ist die Absolute der ÖVP sehr stark gefährdet", sagt Meinungsforscher Berndt.